Die Macht der Steine
Ganze wirkt nämlich nicht sehr organisiert.«
Graue Wolken waberten über den Bergen im Osten, und die Luft war drückend schwül. Durragon hatte Mühe, ordentlich durchzuatmen. Er war an das kältere Klima im Süden gewohnt. »Meinst du, daß wir ein Teil einfangen sollten?«
Der Habiru schielte zu der Prozession hinüber und schüttelte den Kopf. Es war immer besser, vorsichtig zu sein; Zurückhaltung hatte bisher noch kaum jemanden den Kopf gekostet. »Nein«, sagte er. »Zu viele Anführer und Verteidiger. Würden die Armee wie Strohpuppen durcheinanderwirbeln.«
Durragon stellte sich in den Steigbügeln auf und schnüffelte in der von Westen kommenden Brise. Breetod tat es ihm nach, roch aber nichts Ungewöhnliches.
»Ich bin anderer Ansicht. Nebeki, bring die Läufer und ihre Divisionen an dieser Seite der Stadt in Position. Breetod, du nimmst die Hälfte deiner Läufer und Männer, näherst dich dem Ende der Kolonnen und schnappst dir ein paar Nachzügler. Weise deine Leute darauf hin, daß kein Teil beschädigt werden darf. Dann nimmst du die andere Hälfte und versuchst, die Stadt zu stoppen – du übernimmst persönlich die Führung. Worauf wartest du noch?«
»Bin schon weg«, sagte Breetod, machte auf dem Absatz kehrt und rannte los. Durragon lehnte sich im Sattel zurück und seufzte. Dem alten Habiru stieg ein ätzender Geruch in die Nase, und er dachte: ›Der Mann hat Angst.‹
Durragon dachte an den viele Jahre zurückliegenden Verlust seines Fingers. Ein vagabundierendes Stadt-Teil, das einem an einem Zylinder befestigten Schlachtermesser-Sortiment glich, war vor einer Jagdgesellschaft seines Vaters geflohen und hatte ihn über den Haufen gerannt. Er konnte von Glück sagen, daß er den Vorfall überlebt hatte.
»Etwas so Großes muß auch einen Teil haben, mit dem es denkt«, spekulierte er gegenüber dem Habiru. »Etwas, das es organisiert. Wenn wir das Gehirn haben, wissen wir, wie eine Stadt funktioniert. Vielleicht…«
»Das ist schon versucht worden«, unterbrach ihn der alte Mann. Er verneigte sich und sagte leiser: »Andere haben es schon oft versucht, aber die Städte waren zu stark.«
»Aber du hast doch selbst gesagt, daß diese Stadt jetzt nicht mehr stark sei. Wir werden sie so angreifen, wie wir auch eine Armee angreifen.«
Der Habiru beharrte indessen auf seinem Standpunkt. Er wollte noch anführen, daß alle Armeen, gegen die sie bisher angetreten waren, schlecht ausgerüstet und durch Dürre und Hunger geschwächt waren. Er betrachtete die sich über den Bergen zusammenballenden Wolken, die von der über den niedrigeren Hügeln aufsteigenden Thermik in Rotation versetzt wurden.
Vielleicht hatte Durragon aber auch recht. Bisher hatte sich nämlich noch keine Stadt in das alte Schwemmland verirrt. Aber wäre es dann der Mühe überhaupt wert, das Gehirn einer so dummen Stadt zu erbeuten?
»Wird es Regen geben?« fragte Durragon.
»Nein«, erwiderte der alte Mann müde. »Nicht hier. Betrachte die Wolken. Sie lösen sich schon auf.« Beide spürten die abnehmende Luftfeuchtigkeit, die aus der Atmosphäre gesaugt wurde.
»Niemand von uns denkt darüber nach«, sagte Rebecca und klammerte sich an Belshezars Arm. Sie klang verärgert. »Wir wissen nicht, wo die Toleranzgrenze von Wiederauferstehung verläuft… wir sind jetzt schon fast geheilt. Die Stadt könnte uns jede Minute allesamt hinauswerfen.« Ein Tanz sollte stattfinden. Die Patienten erschienen in einer Kleidung, die bereits vor tausend Jahren entworfen, aber gerade erst vor ein paar Stunden geschneidert worden war.
»Habt ihr Instruktionen gefunden?« fragte Reah. »Wie man die Stadt betreibt und sie sauberhält…«
»Das macht sie alles von selbst«, sagte Belshezar. »Sie benötigt nichts.«
»Aber sie stirbt!« Reah zeigte auf einen großen grauen Fleck an der Decke des Atriums. Die vielen leeren Sitzreihen waren braun und fleckig wie Herbstblätter. »Vielleicht können wir sie retten.«
»Es dauert tausend Jahre, bis eine Stadt gestorben ist«, sagte Rebecca. »Wir werden alle zu Staub zerfallen sein, bevor das eintritt.«
»Nun«, erwiderte Belshezar, »das ist nicht ganz richtig. Eine Stadt kann durchaus binnen weniger Jahrzehnte sterben. Aber diese hier – zumindest die Teile, in denen wir leben –, werden uns leicht überdauern.«
»Dann sollten wir also einfach hierbleiben und nichts weiter tun?« sinnierte Reah.
»Wäre es denn nicht besser, draußen zu leben?« fragte Rebecca mit
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