Die Macht der Steine
nichts vergeben oder Schwäche zeigen, indem er Fragen stellte.
Er war im Innern der Stadt! Der Gedanke quälte und erfreute ihn gleichermaßen. Warum hatte man ihm Einlaß gewährt? Nur wegen seiner Verwundung? Aber war das überhaupt von Bedeutung? Schließlich war er jetzt dort, wo er sein wollte. Welcher Gott oder welche Götter auch immer sein Schicksal in der Hand hielten, sie hatten beschlossen, ihn mit einer einzigartigen Gelegenheit zu beglücken.
Er hörte Schritte und wandte den Kopf zur Tür. Ezeki Iben Tav stand dort. Musa Salih war hinter ihm.
»General«, sagte Ezeki und nickte knapp.
»Wo ist Breetod? Die anderen?« Wenn er über einen loyalen Flankenläufer verfügte, konnte er vielleicht die Kontrolle über die Jäger zurückgewinnen.
»Sie sind tot«, berichtete Ezeki. »Sie starben, als die Stadt versuchte, sich in Bewegung zu setzen.«
»Aber ich war doch auch tot, und die Stadt hat mich wieder zum Leben erweckt.«
»Du warst nicht tot«, korrigierte der Arbeiter. »Du hattest eine Brustwunde und eine Schädelfraktur. Diese Stadt kann keine Toten wiederauferstehen lassen.«
»Der Begriff ›Tod‹ wird von der Stadt zweifellos anders definiert, als es bei uns gebräuchlich ist«, sagte Ezeki. »Du magst durchaus tot gewesen sein, General, auf die eine oder andere Art.« Der alte Mann hatte sich versteift und die Fäuste geballt.
»Hauptsache, der Plan hat funktioniert. Wir sind drin.«
»Nicht mehr lange. Wir werden bald wieder rausgeworfen.«
»Berichte mir von allen Vorkommnissen«, verlangte Durragon. »Setze mich ins Bild.«
Nach anfänglichem Zögern präsentierte Ezeki eine unzusammenhängende, konfuse Schilderung. In Gedanken schien er sonstwo zu sein. Durragon runzelte die Stirn und drängte bei einigen Punkten auf Klarheit. Musa ergänzte Details.
»Wie bist du verwundet worden?« fragte Ezeki, als er seinen Rapport beendet hatte.
Durragon schüttelte den Kopf. »Das ist unwichtig. Jetzt, wo wir die Stadt kontrollieren, werden wir alles ändern.«
»Wir kontrollieren die Stadt nicht«, stellte Musa richtig. »Eine Frau tut das. Eine verrückte Frau.«
»Die Stadt ist nicht mehr verrückt«, dementierte der Arbeiter.
»Die Stadt ist aber auch nicht gerade helle«, kommentierte Musa mit gebleckten Zähnen.
»Ihr habt nicht… mit ihr gesprochen? Tage, ja Wochen mitten im Ziel, und ihr habt keinen Nutzen aus eurer Position gezogen?«
»Wir hatten auf dich gewartet«, sagte Ezeki leise. »Wir werden nicht länger in der Stadt bleiben, als sie es wünscht. Und das gilt wohl auch für die Frau.«
»Wir werden einen Weg finden.«
Ezeki seufzte und wandte den Blick ab. »Du bist der General.«
Durragon hörte unterschwelliges Mißfallen aus der Stimme des alten Mannes heraus. »Du könntest diese Stadt ja nicht einmal aufhalten, wenn sie ein sterbender Hund wäre und du einen Beutel voll Fleisch hättest! Du bist ein halbgebildeter Pedant. Was verstehst du denn schon von Strategie und Taktik?«
»Nichts«, gestand der von diesem Ausbruch überraschte Ezeki. Gut, dachte Durragon. Wenn ich sie überraschen kann, kann ich sie auch noch führen.
»Also!« lachte Durragon und richtete sich auf, wobei er wegen der sich über die Rippen spannenden Haut zusammenzuckte. »Wir müssen das Beste aus unserer Situation machen.«
»Ja, General«, meinte Musa.
»Ich brauche Ruhe. Ich muß schnell wieder gesund werden.«
Sie nickten und verließen den Raum. Ezeki schien den Tränen nahe. »Er wird mich exekutieren lassen, wenn wir wieder draußen sind«, befürchtete er.
»Nein, wird er nicht. Er stellt jetzt nicht mehr dar als wir auch.« Musas Augen verengten sich. »Er hat die Jäger verloren. Etwas ist dort draußen geschehen; jemand hat versucht, ihn umzubringen – nicht die Stadt. Er hat sein Kommando verspielt!«
Vor einer Stunde hatte Reah die Augen geöffnet, zu dem kaleidoskopartigen Wirbel an der Decke emporgeschaut und sich stöhnend im Bett herumgewälzt. Seitdem hatte sie ihre Stellung nicht mehr verändert. Sie fühlte sich wie eine Verdammte. Die Operation an sich war nicht schmerzhaft gewesen, aber sie war jetzt in eine Vielzahl widerstreitender, vorwurfsvoller Komponenten zersplittert. »Wo ist das Kind? Was habt ihr mit ihm gemacht?«
Es waren keine Arbeiter im Appartement, und die Lamellen vor dem in der Nähe befindlichen Computerterminal waren unbeweglich arretiert. Die Täfelung über dem Bett, hinter der sich die medizinischen Geräte befanden, hatte
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