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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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nicht überrascht, als er den seltsam gekleideten Fremden auf der Straße vorbeigehen sah, an der seine kleine Farm lag. Erst tags zuvor war nämlich ein großer, dunkler Mann, der einen sprechenden Kopf unter dem Arm trug, in die gleiche Richtung marschiert. Arthurs Großmutter hatte ihm oft von ›Pfaden‹ oder Geisterstraßen erzählt. Es war allgemein bekannt, daß es sich bei Gott-der- Schlachtenlenker um eine verwunschene Welt handelte; die Zeiten änderten sich, und offensichtlich verschoben sich auch die Pfade. Arthur saß auf der Holzbank unter dem Mulcet-Baum, zehn Meter von der Straße und dem Fremden entfernt und ungefähr zwanzig vom Haus, und fragte sich, ob er es rechtzeitig erreichen konnte, falls die Gestalt ihn verfolgte.
    Sie blieb am Zaunpfahl stehen. Arthur sah, daß der Fremde trotz der Hitze nicht schwitzte. Er sprach einige Worte. Obwohl die Sprache ziemlich vertraut klang, konnte er sie nicht richtig verstehen. Nach einem weiteren Versuch schüttelte der Fremde den Kopf.
    »Sind Sie ein Mensch?« fragte Arthur laut, wobei er sich für alle Fälle schon einmal in Fluchtposition begab. »Oder vielleicht ein Geist?«
    Die Gestalt konnte natürlich auch ein Stadt-Teil sein. Neu-Kanaan wurde nun schon seit fast einer Generation von Pseudo-Menschen heimgesucht.
    Der Fremde schaute verwirrt drein und lächelte dann. Er sagte etwas in einem Idiom, das Arthur als Hebräisch identifizierte, aber der Daniel-Clan hatte kein Hebräisch mehr gesprochen, seit er Bethel-Japhet während der Sezessionskriege verlassen hatte. Obwohl die Daniels eigentlich katholisch waren, hatten sie in der Expolis Ibreem aus gesellschaftlichen Gründen Hebräisch gelernt.
    Es war wirklich heiß – der wärmste Sommer, den Arthur mit seinen fünfundfünfzig Jahren bisher erlebt hatte. Selbst wenn der Fremde nicht schwitzte, hatte er vielleicht doch Durst. Arthur strich sich nervös über die Hosenbeine, stand auf und trat der Gestalt entgegen. »Nun, was auch immer Sie sind, das mindeste, was ich tun kann, ist, Ihnen einen Schluck Wasser anzubieten. Kommen Sie rein.« Er bedeutete dem Fremden, ihm zwischen den verdorrten Dornbüschen hindurch zum Haus zu folgen. Gastfreundschaft war eine der wenigen Freuden, die Arthur dieser Tage noch geblieben waren. Der Fremde beschattete die Augen, musterte ihn und willigte ein.
    »Nan!« Von der Veranda aus rief Arthur seine Tochter. Er schaute über die Schulter; der Fremde war ein paar Schritte hinter ihm. »Wir haben einen Gast.«
    »Wer ist es?« fragte eine Frauenstimme von drinnen.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Arthur. »Ich stufe Sie hiermit als Menschen ein«, tat er dem Fremden kund und öffnete die Tür. »Aber meine Entscheidungen gelten hier nicht viel. Ich war mir nicht sicher wegen dieser Kleider, müssen Sie wissen.« Der Fremde trug eine farbenfrohere Kleidung, als sie von den Gründern von Kanaan gefertigt werden konnte, soviel war sicher. Besonders bewunderte Arthur die Stiefel, die übergangslos aus der Hose zu fließen schienen, und die Tatsache, daß weder Knöpfe noch Reißverschlüsse zu sehen waren. »Sie haben vorhin ein wenig Hebräisch gesprochen, aber ich habe diese Sprache zuletzt benutzt, als ich noch ein Kind war.« Nan stieß im Flur zu ihnen und wischte sich die Hände an ihrem schwarzen Overall ab.
    »Wer ist das?« fragte sie mißtrauisch.
    »Spricht nicht unsere Sprache«, sagte Arthur.
    »Warum hast du ihn überhaupt hereingebeten? Was, wenn er ein Stadt-Teil oder so etwas ist? Er könnte gefährlich sein.«
    Der Fremde schaute sich mit einem betrübten Gesichtsausdruck im Flur um. Die Struktur des Hauses war primitiv, aber solide – ein robuster Holzrahmen mit Mauern aus glasierten Ziegelsteinen –, aber auf dem Boden des Flurs und der angrenzenden Küche lagen Abfall und Dreck. Der Kamin war fast mit Asche verstopft, und der Kessel, der an einem schwarzen gußeisernen Dreibein über dem Feuer hing, war mit den Überresten früherer Mahlzeiten verkrustet. Der Fußboden war mit einer zentimeterdicken Staubschicht bedeckt, die von deutlichen Fußabdrücken durchzogen war. Arthur und seine Tochter hatten seit den Staubstürmen vor einem Vierteljahr nicht mehr saubergemacht.
    »Ist nicht so ordentlich, wie es eigentlich sein sollte«, entschuldigte sich Nan. Sie war etwa dreißig Jahre alt und wurde schon vorzeitig grau, mit einem schmalen Gesicht, das von Sorgenfalten gezeichnet war. Arthurs Haare fielen aus, so daß sich nur noch ein strähniger

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