Die Macht der Steine
Name ist Frederik Bani Hassan. Du mußt uns Namen, Reiseziel und den Grund deines Aufenthaltes mitteilen.«
»Überhaupt kein Problem. Ich komme aus Ibreem.«
»Langer Weg. Dein Vor- und Nachname?«
»Azrael Iben Cohen.«
»Gibt viele Cohens in Ibreem«, wußte der Anführer. »Aber du bist nicht dort geboren. Wo ist dein Geburtsort?«
Kahn blinzelte. »Eigentlich hier. In Neu-Kanaan«, sagte er dann beiläufig.
»Nein, das glaube ich dir nicht«, widersprach der Anführer. »Solche Kleidung trägt man in Ibreem nicht – und hier übrigens auch nicht. Ich meine, du solltest mit uns kommen.«
Kahn nickte und folgte dem Anführer zu seinem Trike. Arthur sagte nichts, hatte aber die Hände zu Fäusten geballt.
Die Motorräder knatterten davon. Arthur blieb noch einige Minuten auf der Veranda und schaute der Staubwolke nach. Dann ging er wieder ins Haus und betrat die verdreckte Küche, wo er sich mit zitternden Lippen umschaute. »Wir haben hier bisher wie Staub in einem Schneckenhaus gelebt. Sie werden uns nicht mehr lange bleiben lassen. Sie wollen das Land. Sie wollen alles, was wir haben.«
»Aber, Vater…«
»Doch, das wollen sie«, bekräftigte er leise. »Armer, verrückter Mann.«
Jeshuas Schritte hallten in den leeren Hallen wider. Sie hatten über eine Woche in der toten Stadt verbracht, sie durchkämmt und versucht, etwas Brauchbares aufzutreiben. Aber alles, was sie gefunden hatten, war Fäulnis und Zerfall gewesen.
»Sie haben sie zerstört«, sagte Thinner, als er aus dem Lift die morschen Wände der Gärten auf der dritten Ebene sah. »Die Stadt hat die Verteidigung eingestellt, und sie haben sie zerstört.«
»Sie war vielleicht schon tot, als sie eingedrungen sind«, spekulierte Jeshua.
»Ich bin einmal durch Bruderschaft gegangen, noch bevor ich dich getroffen habe. Die Stadt war ein ruhiger Ort. Sie war als Bildungsstätte konzipiert worden und hatte eine schlichtere Architektur als die meisten anderen Poleis. Sie verfügte über eine riesige Büchersammlung – richtige Bücher.«
»Ich hoffe, daß sie die Bücher nicht auch verbrannt haben«, sagte Jeshua.
Sie tauchten in Schweigen ein. Thinner gab ein Geräusch von sich, das einem Seufzer glich. »Hast du dich auch schon auf den oberen Ebenen umgeschaut?«
»Ja«, entgegnete Jeshua stirnrunzelnd. »Ich hatte dich doch mitgenommen.«
»Mein Gedächtnis läßt wohl nach«, sagte Thinner. »Keine Ersatzteile?«
»Nichts.«
»Nein, natürlich nicht. Dann gehen wir weiter.«
Als sie Bruderschaft am frühen Abend verließen, setzte ein Nieselregen ein. Sie schlugen eine westliche Richtung ein.
Thinner erzählte von der Zeit in Mandala vor Jeshuas Rückkehr. Jeshua kannte die Geschichte zwar schon zur Genüge, aber der Klang der Stimme des Kopfes war beruhigend und übertönte das Zischen des Regens auf dem warmen, trockenen Erdboden und dem Gras. Ein dünner Bodennebel waberte um seine Beine, während er zwischen dürren, skelettartigen Bäumen dahinschritt, groß und beschirmt, mit dem unter den Arm geklemmten Kopf.
Vier Männer auf Pferden erblickten diese Gestalt. Die Pferde scheuten in Panik, und die Männer, die wohl ähnlich empfanden, ließen ihnen die Zügel und galoppierten in das Vorgebirge hinein.
Es war spät abends, und die zwei Monde standen hoch am Himmel über den hinter ihnen liegenden Bergen, als Jeshua stehenblieb. Der Boden kühlte jetzt aus, und eine drückende, feuchte Brise wehte von den Hügeln herüber. Der Regen hatte aufgehört, und der Boden war wieder trocken.
Sie verbrachten die Nacht in einem Wäldchen aus verdorrten Mulcet-Bäumen. Jeshua bereitete Thinner ein Lager aus trockenem Gras und Laub und legte ihn vorsichtig dort ab, wobei er darauf achtete, daß sein Mund nach oben wies. Dann setzte er sich mit dem Rücken gegen einen Baum und überlegte. Thinner wurde von Tag zu Tag vergeßlicher. Jeshua fragte sich, ob seine Nährstoffe vielleicht unzureichend für den Kopf waren – ob Thinner möglicherweise etwas brauchte, das nur vom Metabolismus eines intakten Körpers erzeugt werden konnte. Er hoffte, daß sie Wiederauferstehung erreichten, bevor er endgültig den Geist aufgab. Jeshua hatte nicht viel zu verlieren, im Grunde kaum mehr als seine Existenz – die ihm indes auch nicht allzu viel bedeutete – und seinen Kameraden.
Er wünschte sich, schlafen zu können. Thinner lag mit offenen Augen da, in einer Art Stupor, aber Jeshua hatte diese menschliche Gewohnheit schon lange
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