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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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interpretieren können, wären da nicht seine großen Augen und die bebenden Nasenflügel gewesen.
    »Wir brauchen eine Mitfahrgelegenheit, wenn ihr noch Platz habt«, sagte Arthur. »Meine Freunde und ich wollen nach Wiederauferstehung.«
    »In welcher Angelegenheit seid ihr unterwegs?« fragte der Mann.
    »Wir sind Pilger«, behauptete Arthur. »Wir müssen Wiederauferstehung aufsuchen. Ich bin noch nie dort gewesen.«
    Der Mann musterte Kahns Kleidung und Jeshuas Wunden, von denen einige bereits verheilten. »Mir scheint, ihr habt bisher eine schwere Reise gehabt.«
    »Das haben wir«, bestätigte Arthur.
    »Entschuldige die Störung«, sagte Kahn und trat vor. »Wir kommen aus Neu-Kanaan West. Ich muß dringend nach Wiederauferstehung.«
    »Ihr seid auf der Flucht«, sagte der Mann zögernd. Die anderen vier hatten sich in der Nähe des Lkw versammelt.
    »Er nicht«, korrigierte Kahn und deutete auf Arthur. »Wir schon. Aber wir sind keine Verbrecher.«
    »Der große Bursche – was ist mit ihm?«
    Kahn bedeutete Jeshua, weiter ins Licht zu kommen. »Wenn ich mich nicht irre, kann er in die Stadt gelangen – in die Polis. Er kann dort repariert werden.«
    »Die Stadt läßt keine Kranken mehr hinein. Das hat schon vor langer Zeit aufgehört. Es gibt Krankenhäuser in der Enklave…«
    »Er ist ein Stadt-Teil«, erläuterte Arthur. »Ein Cyborg. Sie wollen ihn hier töten.«
    »Was hat er getan?«
    »Nichts«, erwiderte Kahn. »Er wollte nur nach Wiederauferstehung und mußte dabei durch Neu-Kanaan West.«
    »Wie heißt ihr?« fragte der Mann.
    »Ich bin Arthur Sam Daniel, und das ist Azrael Iben Cohen.«
    »Mein Name ist Hale Ascoria. Ich bin Lehrer. Meine Frau Lod, und mein Sohn David. Meine Schüler Sanisha und Coort. Euer Land hat uns ein Vier-Tage-Visum ausgestellt, und nun fahren wir wieder heim.« Er schaute über die Schulter zu der Gruppe, nahm dann den Hut ab und fächelte sich langsam Luft zu. »Es gibt keine Diebe in Neu-Kanaan, jedenfalls heute nicht mehr. Ihr sagt, ihr seid Pilger… woher soll ich denn wissen, daß ihr keine Polizisten seid?«
    »Jeshua, zeige ihm deinen Arm«, sagte Kahn. Der Cyborg trat ein paar Schritte vor und schälte die Haut ab. Ascoria schielte, um im trüben Licht besser zu sehen.
    »Mandala«, meinte Jeshua. »Früher, als ich mich noch für ein menschliches Wesen hielt, lebte ich auch in Ibreem. Ich bin dort aufgewachsen.«
    »Wie alt bist du?«
    »Etwa hundertvierzig Jahre.«
    »Wir sind verpflichtet, Stadt-Teile an Wiederauferstehung zu übergeben. So will es unser Pakt. Aber ich habe noch keinen Cyborg getroffen, der so alt war, wie du behauptest. Die meisten kommen von Bruderschaft.« Er sah Kahn an. »Wir haben diesen Ausflug unternommen, um Bruderschaft zu studieren. Eigentlich kommen wir aus der Expolis Geshom, aber vor zehn Jahren sind wir in die Enklave von Wiederauferstehung gezogen.« Er atmete tief durch. »Wenn ihr die Unwahrheit sagt, möge Gott euren unsterblichen Seelen helfen. Schließt euch uns an, Pilger.«
     
    Der Lkw verfügte über einen Verbrennungsmotor, stank und lärmte, war aber robust genug, die Rüttelpiste zu bewältigen. Die Schüler fuhren bei Ascoria auf der vorderen Sitzbank mit; seine Frau und sein Sohn saßen hinter der Schlafkabine des Fahrzeugs, und Kahn, Jeshua und Arthur hatten bei der hinteren Ladeklappe Platz genommen. Zwischen den Gruppen befanden sich das Zelt und die Vorräte. Jeshua ließ Thinner in der Tasche und schaute ab und zu nach ihm. Das Gesicht des großen Cyborgs war ausdruckslos, aber Kahn spürte, daß es dem Kopf nicht allzu gut ging.
    Die Grenze wurde dieser Tage nur schwach kontrolliert, hatte Ascoria versichert. Es gab kaum Spannungen zwischen Ibreem und Neu-Kanaan, und bei der Hitze kamen die Aktivitäten der Grenzposten fast zum Erliegen. Sie passierten ein Drahtgatter mit einem leeren Wachhäuschen und waren in Ibreem.
    Sie waren am frühen Morgen aufgebrochen. Binnen einer Stunde fuhren sie über die alte Schwemmland-Ebene. Wiederauferstehung schimmerte im Licht der Morgensonne. Die Stadt leuchtete bereits so intensiv wie eine elektrische Lampe.
    Ein paar Kilometer in der Ebene verwandelte die Staubpiste sich in eine geteerte Straße. Der Lkw wurde jetzt nicht mehr so heftig durchgerüttelt, und Kahn konnte sich auf die vor ihnen liegende Stadt konzentrieren. Sie war viel kleiner als in seiner Erinnerung, als ob große Abschnitte entfernt worden wären und die Wände sich hinter ihnen geschlossen hätten.

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