Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
desto freundschaftlicher gestaltete sich ihr Umgang.
Sobald der Tisch abgeräumt worden war, begaben sich an diesem Abend alle in den Wohnraum, wo Yvette und Paul ihre hitzige Debatte über eine Zuckerraffinerie auf der Insel fortsetzten. »Das ist unmöglich«, wiederholte Paul. »Die Reinigung wird schon immer außerhalb von Charmantes gemacht.«
»Aber wenn wir den Saft konzentrieren, können die Schiffe mehr transportieren, und du könntest einen höheren Preis für ein fast fertiges Produkt verlangen.«
»Dafür wird viel frisches Wasser benötigt, aber das ist auf der Insel nur begrenzt vorhanden. Außerdem muss man noch den Holzverbrauch berücksichtigen. Der Unterhalt der Plantage kostet uns bereits sehr viel Holz.«
»Und wie wäre es mit Kakaopflanzen?« In dieser Art ging es weiter.
Charmaine und Rose schmunzelten, bis Charmaine noch einen vergessenen Teller erspähte und in die Küche brachte. Auf dem Tisch stapelte sich das schmutzige Geschirr. Fatima trug die Stapel einen nach dem anderen zum Ausguss, wo das neue Mädchen Rachel spülte.
»Oh, Miss Charmaine, geben Sie her!«
»Aber, Cookie, wo stecken denn Felicia und Anna?«
»Vermutlich haben sie ihren Spaß mit Master Paul.«
Charmaine wurde zornig. Offenbar war das nicht das erste Mal, dass Fatima noch andere Arbeiten übernehmen musste. »Das Spülen ist doch Sache der Hausmädchen, oder nicht?«
»Seit sich Mrs Faraday um Master Pauls Haus und Miss Agatha kümmert, drücken sich die Mädchen, wo sie nur können.«
»Das wollen wir doch mal sehen.« Mit diesen Worten verließ Charmaine die Küche.
Sie hatte schon bemerkt, dass die Mädchen in ihrem Eifer nachgelassen hatten, aber das war nicht der einzige Grund für ihre Empörung. Erst vor zwei Tagen hatte sie eine Unterhaltung der beiden vor Johns altem Zimmer mitgehört.
»… seit er weg ist, macht sie sich wieder an Paul ran.«
»Obwohl Johns Kind in ihrem Bauch wächst.«
»Na ja … vielleicht ist es ja gar nicht von ihm.«
Die Mädchen kicherten.
Charmaine hatte geschwiegen, weil sie den Mädchen die Genugtuung nicht gönnte, sie verletzt zu haben. Aber heute Abend war das anders. Heute war sie für den Kampf gerüstet.
Wie erwartet fand sie die beiden an der Bar. Anna tat, als ob sie Gläser polieren müsse, während Felicia mit schwingenden Hüften durch den Raum eilte und Paul ein Glas Portwein kredenzte. Er sah auf und nahm das Glas mit einem Lächeln in Empfang.
Charmaine verschränkte die Arme. »Felicia, Anna!«
Die Hausmädchen fuhren herum.
»Ist das Geschirr schon gespült?«
»Fatima hat gesagt, dass sie das macht«, log Felicia.
»Ich habe Mrs Henderson gesagt, dass diese Arbeiten sie nichts angehen. Sie ist schließlich unsere Köchin und kein Hausmädchen! Wenn ich Fatima noch einmal beim Spülen erwische, gebe ich ihr einen Tag frei. Dann könnt ihr sehen, wie ihr ein Essen auf den Tisch bringt. Verstanden?«
Die Mädchen wirkten eingeschüchtert, doch als Anna den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, kam Charmaine ihr zuvor. »An deiner Stelle würde ich schleunigst in die Küche rennen. Ihr werdet nicht dafür bezahlt, Getränke auszuschenken.«
Felicia sah Paul an, als ob sie nur von ihm Befehle entgegennähme und er ihr helfen solle. Charmaine hielt den Atem an. Doch ein Blick auf sein Gesicht genügte … und sie wusste, dass er sich nicht einmischen würde. Offenbar hatte Felicia denselben Eindruck gewonnen, denn sie stapfte mit beleidigter Miene davon. »In Zukunft verzichten wir beim Dinner auf eure Dienste. Diese Zeit soll allein der Familie gehören«, fügte Charmaine hinzu.
Als die beiden draußen waren, lachten Jeannette und Yvette, und George schloss sich ihnen an. »Worum ging es eigentlich?«, fragte Paul ganz unschuldig.
»Wenn ich schon Hausherrin bin«, sagte Charmaine, »dann muss ich mich auch wie eine benehmen.«
Paul hob sein Glas und zwinkerte ihr zu, und zum ersten Mal seit zwei langen Wochen verspürte Charmaine ein kleines Glücksgefühl.
Drei Tage später musste Felicia plötzlich ihre Sachen packen, ohne dass Charmaine den Grund dafür kannte. Paul hatte das Hausmädchen fristlos entlassen und würdigte sie keines Blickes, als sie an ihm vorbei aus dem Haus stürmte. Auf dem Rückweg in die Bibliothek, wo er gearbeitet hatte, dachte er an die Szene zurück. Anna und Felicia hatten beim Bettenmachen wieder über Charmaine geredet. Vermutlich glaubten sie, dass er seine Räume bereits verlassen hätte.
»Mein Blut
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