Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
bitte!«, flehte sie. »Lassen Sie Jeannette gehen!«
»Immer mit der Ruhe«, erklärte Benito. »Sie gehen jetzt nach oben und stillen das Kind, damit es einschläft. Und dann knien Sie nieder und beten, dass ich so gnädig bin und die Kinder laufen lasse, wenn ich mit ihnen fertig bin. Wenn Sie jemanden im Haus alarmieren, garantiere ich, dass Sie … dass Sie Yvette und Jeannette nicht mehr lebend wiedersehen!«
Jeannette wimmerte.
»Bitte!«, flehte Charmaine. »Lassen Sie die Kinder frei. Ich verspreche auch, dass ich niemandem etwas sage!«
Der Priester räusperte sich und grinste nur hämisch. »Ich denke nicht daran.«
Da wandte sich Charmaine mit flehendem Blick an ihren Vater. »Bitte! Du bist doch mein Vater! Hilf ihm nicht. Lass die Mädchen frei!«
»Ich soll dein Vater sein?«, zischte Ryan abfällig. »Wirklich nicht! Deine Mutter war eine Hure, und zwar vom ersten Tag an bis zu ihrem Tod!«
Charmaine unterdrückte ein Schluchzen und klammerte sich in ihrer Verzweiflung an die kleine Marie.
Benito St. Giovanni entsicherte seine Waffe. »Wir vergeuden nur wertvolle Zeit. Bei zehn sind Sie verschwunden!«
»Guter Gott!«, stöhnte Charmaine, als der Priester zu zählen begann. Dann nahm sie all ihre Vernunft zusammen und flüchtete aus dem Ballsaal.
St. Giovanni stieß Jeannette in den Rücken, damit sie vor ihm hergehen sollte, und Ryan versetzte Yvette einen Tritt in den Hintern. Empört fuhr das Mädchen herum. »Kein Wunder, dass Mademoiselle Charmaine Sie hasst!«
»Ruhe!«, zischte der Priester. »Kein Wort mehr! Beeilt euch lieber.«
Yvette zeigte sich nicht allzu beeindruckt. »Wohin gehen wir denn?«
»Ruhe … oder ich blase deiner Schwester ein Loch in den Kopf!«, drohte Benito.
Yvette hielt den Mund, aber ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft.
Keine zwei Minuten später hämmerte Charmaine wie verrückt an Georges Tür, bis sie endlich aufgerissen wurde.
Erschrocken sah George sie an. »Was ist los?«
»Father Benito … mein Vater …« Charmaine schnappte nach Luft und zitterte am ganzen Leib. »Sie waren hier! Sie haben Yvette und Jeannette entführt!«
»Wann und wohin?«
»Gerade eben! Keine Ahnung, wohin sie gehen! Sie haben mir verboten, Alarm zu schlagen. Benito hat eine Pistole! O Gott, George … Was, wenn er die Kinder umbringt?«
George rannte ins Zimmer zurück und schlüpfte in seine Stiefel. »Zeigen Sie mir, wohin sie gegangen sind«, drängte er, während er sein Hemd überstreifte.
Mercedes übernahm Marie, die noch immer wie am Spieß schrie, und George rannte zusammen mit Charmaine in die Halle hinunter. »Mercedes«, rief er über die Schulter zurück, »wecke Travis und Joshua Harrington!«
Die Wiesen vor dem Haus waren verlassen. »Verdammt! Dafür bringe ich John um!«
Charmaine war überrascht. »Was hat denn John damit zu tun?«
»Es war seine Idee, Ihren Vater nach Charmantes zu locken.«
Zu spät begriff er, dass er besser den Mund gehalten hätte. Mit Riesenschritten eilte er zum Stall hinüber.
Charmaine hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. »Was meinen Sie mit seine Idee ?«
»Das erkläre ich Ihnen später!«
Obwohl sie ihn bestürmte, wollte er nicht mit der Sprache herausrücken. »Zuerst einmal müssen wir die Mädchen finden.«
Schnell wurden die Pferde gesattelt und die Gewehre an die Männer verteilt. Sie wollten zuerst den Hafen durchsuchen und außerdem Benitos kleines Haus im Wald.
»Sie müssen äußerst vorsichtig sein, George«, beschwor ihn Charmaine. »Wenn die beiden merken, dass sie verfolgt werden, könnten sie den Mädchen etwas antun! Ich musste versprechen, nichts zu sagen.«
»Aber deswegen können wir nicht untätig dasitzen und warten.«
Ohne ein weiteres Wort schwang er sich in den Sattel und gab seinem Pferd die Sporen. Gerald und die Stallknechte taten es ihm nach und galoppierten hinter ihm durchs Tor hinaus. Einige Minuten später erschienen auch Joshua Harrington und Travis und Joseph Thornfield vor dem Haus und machten sich zu Fuß in nördlicher Richtung auf den Weg.
Charmaine konnte ihre Unruhe nicht länger bezähmen und verlangte, dass Bud ihre Stute sattelte.
»Aber, Ma’am, Sie können doch unmöglich allein losreiten!«, flehte Bud. Doch als sie sich nicht überzeugen ließ, befolgte er die Anweisung, die ihm George Richards gegeben hatte.
Charmaine schlug die Richtung zum südlichen Strand ein, wo bisher noch niemand suchte. Ein paar Minuten später hörte sie einen Reiter, und als sie
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