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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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Lassen Sie ihn nicht entwischen! Erlauben Sie nicht, dass Mrs London ihn sich krallt! Eine solche Gelegenheit kommt nie wieder!«
    Samstag, 31. März 1838
    Der Tag des Balls rückte immer näher. Noch eine Woche! Seit Tagen war Travis Thornfield fast ununterbrochen am Hafen, um die Gäste zu empfangen und in ihre jeweiligen Unterkünfte zu bringen. Für alle, die mittlerweile auf der Insel angekommen waren, fand am morgigen Vormittag ein großer Empfang bei Dulcie statt, um die Woche mit Gesprächen und Verhandlungen zu eröffnen.
    An diesem Morgen saßen Gäste und Familie eng gedrängt um den Frühstückstisch, und es herrschte eine angeregte Stimmung. Alle redeten durcheinander, während Frederic stumm und in sich gekehrt dabeisaß. Charmaine fragte sich, ob er wohl auch so niedergedrückt war wie sie. Dachte er an John? Oder daran, dass Colette und Pierre heute Geburtstag gehabt hätten? Dass Pierre heute vier Jahre alt geworden wäre und Colettes Todestag sich in einer Woche jährte? Ihr Herz war schwer, und sie seufzte.
    Als ob Frederic ihre Gedanken gelesen hätte, wandte er sich an sie. »Sie wirken heute sehr nachdenklich, Charmaine. Fehlt Ihnen etwas?«
    »Das Gleiche könnte ich von Ihnen sagen«, entgegnete sie. »Und vermutlich aus denselben Gründen.«
    Sofort verstummte das Gerede, und aller Augen richteten sich auf sie.
    »Welchen Gründen?«, fragte Agatha und beäugte Charmaine misstrauisch.
    Frederic lächelte wehmütig. »Miss Ryan ist eine scharfsinnige Beobachterin.« Und dann: »Leider bin ich heute den ganzen Tag beschäftigt, sodass Sie sich um die Mädchen kümmern müssen. Vielleicht beflügelt ja ein gemeinsamer Ritt mit meinen Töchtern Ihre Lebensgeister.«
    »Gewiss, Sir«, flüsterte Charmaine, obwohl sie wusste, dass nichts diese Traurigkeit vertreiben konnte.
    Yvette und Jeannette stürmten überglücklich in die Küche, um Mercedes einzuladen. Als Anne protestieren wollte, fiel ihr Frederic ins Wort. »Sie werden sicher meiner Frau zur Seite stehen, nicht wahr, Mrs London?« Und auf ihr Nicken hin sagte er: »Also kann Miss Wells mit meinen Töchtern ausreiten, nicht wahr? Die Anweisungen meiner Frau beziehen sich doch allein auf das Hauspersonal.«
    Um nicht allzu grausam zu erscheinen, lächelte Anne, aber später wollte sie mit Mercedes ein Hühnchen rupfen.
    Auf dem Weg zur Weide bemerkte Jeannette in der Ferne eine Staubwolke und kniff die Lider zusammen. »Ein Reiter!«
    Yvette blieb wie angewurzelt stehen und starrte die Straße entlang.
    »Kannst du etwas erkennen?«, fragte Jeannette.
    »Es ist Phantom!« Mit wildem Geschrei stürmte sie los.
    Jeannette rannte ihr nach und erreichte gerade das Tor, als John hereinsprengte. »Johnny!«, quietschten die Mädchen und zerrten wie die Wilden an ihm. Mit einem Satz sprang er vom Pferd und schloss seine Schwestern laut lachend in die Arme. »O wie schön, dass du gekommen bist! Du musst Charmaine begrüßen! Und Papa auch!«
    Ein Stallknecht rannte herbei und übernahm den Hengst. John warf sich den Seesack über die Schulter und ging zwischen den Mädchen zum Haus hinüber. Jeannette umschlang ihn, und Yvette strahlte ihn an wie ein Wunder, das sich in Luft auflösen könnte, sobald sie die Augen abwandte.
    »Also, Mädchen, was ist mir inzwischen alles entgangen?« Er drückte Jeannettes Schulter.
    »Papa macht am Samstag immer Ausflüge mit uns. Außerdem haben wir Kleider für den Ball bekommen!«
    »Und ich führe die Bücher der Sägemühle!«, rief Yvette dazwischen.
    »Wir waren auch in Espoir, und Mademoiselle Charmaine kann inzwischen gut reiten!«
    John war froh. Dank der Begeisterung seiner Schwestern spürte er, dass er willkommen war, dass dies sein Zuhause war. Er zog die Mädchen an sich und fragte sich, wo Charmaine wohl steckte.
    Charmaine verließ das Haus und befestigte im Gehen noch ihre Kappe. In derselben Sekunde begann ihr Herz zu rasen. Es war eindeutig John, der ihr da entgegenkam! Sie betrachtete ihn von Kopf bis Fuß: die Kappe, die verwegen auf seinem Kopf thronte, das dunkle Haar, das ihm in die Stirn fiel, und dazu sein selbstbewusster Gang. Die Versuchung, einfach die Stufen hinunterzulaufen und ihn in die Arme zu schließen, war so mächtig, dass sie alle Kräfte aufbieten musste, um an Ort und Stelle stehen zu bleiben. Vor der Veranda sah John auf, und ihre Blicke begegneten einander.
    Er nahm das Bild in sich auf. Das schlichte Reitkleid, die bebenden Finger, die noch immer die Schnalle an der

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