Die Macht des Amuletts
die kalte, nasse Kette über das triefende Haar. Dann rannte sie wieder los. Diesmal kam sie bis ans Tor.
Ungeduldig sprang sie darüber, sie sah, dass es im Haus vor Lichtern wimmelte. Blau und klein funkelten und blinzelten sie hinter allen Erdgeschossfenstern, winzige Kugeln tauchten auf und winkten aus den dunklen Räumen. Manche waren draußen auf dem Rasen; sie glitten auf sie zu. Katie achtete nicht darauf und lief über das durchweichte Gras zwischen den Blumenbeeten, die der Wind flachgelegt hatte.
Micks Fenster war dunkel, aber offen, die Vorhänge wehten hinein. »Mick!«, schrie sie.
Mick hörte sie, als er halb die große Treppe hinunter war,
und hob jäh den Kopf hoch. »Was war das?«
»Nichts.« Rowan kam gelassen herunter und rauschte an
ihm vorbei. »Du wirst nervös, Mick.«
Sie führte ihn unter den Porträts entlang und sah dabei aus wie eine Gestalt, die aus ihrem Bilderrahmen getreten war. Sie durchquerten die Südhalle und sie riegelte das Tor auf, wobei Spinnwebfäden durch die unruhige Luft wehten. Mick schaute zurück und sah die stillen Lichtkugeln in den Korridoren und allen Räumen.
Als die Tür offen war, legte sie ihm eine Hand auf den Rücken und schob ihn hindurch. Sie ließen sie weit offen. Auf der Treppe nahmen sie kein Unwetter wahr. Mick ging in einer stillen Nacht auf nassem Gras und über ihm hing der Mond, eine Eule flatterte geräuschlos darüber weg. Welten entfernt heulte ein wilder Sturm.
»Mick!«
Sobald sie ihn sah, kämpfte sich Katie ihren Weg durch den Sturm über dem Gras. Dann blieb sie atemlos stehen. Er schaute nicht auf, er schien sie gar nicht wahrzunehmen.
Wütend wandte sie sich an Rowan. »Was haben Sie mit ihm gemacht? Lassen Sie ihn in Ruhe!«
Die Frau lächelte, ihr Blick war scharf, ihre Stimme träge.
»Warum sollte ich?«
»Warum kann er mich nicht sehen?«
»Weil er nicht will. Geh nach Hause, Mädchen. Lass du ihn in Ruhe. «
»Nein!« Katie drängte sich an ihr vorbei, packte Mick am Ärmel und spürte nichts als Regen, ihre Finger griffen direkt durch ihn hindurch.
»Mick!«, schrie sie verzweifelt und entsetzt. Abrupt schaute er auf. Rowan lachte.
»Katie? Wo bist du hergekommen?«
»Ist alles in Ordnung?«
»Mir geht's gut.« Er rieb sich mit einer Hand das Gesicht.
»Schau, du musst nicht mit ihr gehen ...«»Ich will aber.« »Ist ...«
»Ich will gehen.« Er sagte es kalt und schaute sie direkt an, sein Gesicht war so weiß, als wäre es vom Mondlicht beschienen. »Ich muss. Misch dich nicht ein, Katie, das geht dich nichts an.«
Verängstigt flüsterte sie: »Zwingt sie dich?« Eine Sekunde lang schwieg er. Dann sagte er: »Nein. Ich will es wirklich.« Er meinte es.
Fassungslos und elend vor Verzweiflung sah sie die beiden durch den Regen davongehen. Dann bemerkte sie, dass sich die Erdlichter um sie drängten. Jetzt waren es leuchtende Steine, die von Kindern getragen wurden, einem Kreis schöner blonder Kinder, etwa acht, mit schmallippigen Gesichtern.
Katie wich zurück, Kies knirschte unter ihren Füßen. Die Kinder liefen ihr nach. Eins kicherte und zeigte dabei scharfe Zähne.
Der erste Stein traf sie ins Gesicht. Katie schnappte nach Luft und legte die Hand auf den blutigen Kratzer. Dann nagelten weitere Steine mit scharfen blauen Funken auf sie herab, die Kinder lachten und kreischten. »Mick!«, schrie sie, »Mick!« Aber er ging mit Rowan davon und schaute sich nicht um, kein einziges Mal, und sie schrie und taumelte zurück, die Arme über dem Kopf, bis die harte Spitze von etwas Kaltem sie in den Rücken stieß und sie zusammenbrach und geduckt auf den nächsten Schlag wartete. Nichts geschah.
Eine lange Minute lag sie da. Dann sah sie durch ihre Haare, dass der Rasen dunkel und leer im strömenden Regen lag. Steif setzte sie sich auf, zog ein Papiertaschentuch heraus und wischte sich damit die Wange. Blut lief herunter. Ihre Schultern und Arme schmerzten von den Prellungen. Ihre Hände zitterten. Sie murmelte ein paar wütende, hilflose Flüche.
Als sie aufschaute, stellte sie fest, dass sie bis zum Springbrunnen von Apollo zurückgewichen war. Der junge Gott sah zu ihr herunter, aus seinen Locken rann das Wasser, seine Hand war in lautloser Musik auf den Leiersaiten erstarrt. In den Teich prasselten die Regentropfen.
In einer kurzen Windstille hörte sie schwach Musik vom Eilderfeld, eine Trommel wurde bereits geschlagen. »Sie haben Mick«, flüsterte sie zu Apollo hinauf. »Und ich weiß
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