Die Macht des Amuletts
nicht, was tun.«TEIL DREI Der Kornkönig
FÜNFZEHN
Sie hielt die milchweiße Stute an,
True Thomas saß hinter ihr auf,
Und als das Glöckchen im Zaumzeug erklang,
Begann der windschnelle Lauf.
Ü BERLIEFERT
Mick lag in der Nachmittagssonne. Über ihm schimmerten Lichtflecke auf den Eichenblättern.
Weit entfernt, schwach wie im Traum, hörte man das Sägen und Hämmern der Reparaturarbeiten auf dem verwüsteten Jahrmarktfeld. Jenseits der Wiese wogte das Korn mit seiner leisen Musik
»Sag es noch mal«, murmelte er schläfrig. Rowan strich mit dem Daumennagel durch den letzten Gänseblümchenstängel, den sie vorsichtig aufreihte. Dann ließ sie die krumme Krone auf seinen Kopf fallen. »Kornkönig«, flüsterte sie.
Grinsend blies er hinauf. »Das kommt mir in die Augen.« Sie rückte die Krone gerade.
»Im Land der Jungen«, sagte sie leise, »gibt es keinen Regen, keine Traurigkeit, keine Schmerzen. Früchte und Blumen wachsen auf den Bäumen; ewig ist dort Sommer, ewig ist es warm. Jeder hat alles, was er braucht. Niemand muss arbeiten.« »Das ist das Beste.«Sie lächelte auf ihn herab. »Und mein Haus, Mick. Es steht auf der Klippe und schaut aufs Meer. Säulen aus weißer Bronze, zarte Vorhänge und Musik, die ganze Zeit Musik, weil es keine Zeit gibt, und durch die offenen Fenster hört man die singenden Vögel in den Wäldern. Niemand stirbt, niemand wird alt. Niemand ist einsam.« Er schwieg mit geschlossenen Augen. Dann rollte er sich herum und schaute zu ihr auf. »Ich wollte, es würde existieren.«
»Es existiert. Euer Jahrmarkt ist nur ein Echo davon. Für jene, die den Preis zahlen, kann es der realste Ort sein, den sie je kennen lernen.« Sie lehnte sich zurück und stützte sich auf die Ellbogen. Heute trug sie Jeans wie Katie. »Weißt du, Mick, das ist es, was sich alle Künstler und Musiker wirklich wünschen, auch wenn sie es selbst nicht wissen. Aus der Welt hinauszutreten. Ich sollte es wissen.« Sie lachte leise bei der Erinnerung. »Ich habe so viele von ihnen im Lauf der Jahrhunderte gekannt. Thomas und Tarn Lin, Taliesin, Conle, Oisin. Keiner von ihnen konnte widerstehen.« Er betrachtete sie. Wie immer verwirrte ihn, was sie sagte, es hypnotisierte ihn fast. Dunkel ahnte er, dass er sich verlor, aber jetzt war das nicht so wichtig. Seit dem Gewitter vor zwei Nächten hatten sie ihn nie allein gelassen; in seinem Zimmer, im Herrenhaus, bei den Sessions und Tänzen auf dem Jahrmarktfeld waren immer einige von ihnen dabei, immer sprachen sie mit ihm.
Er stellte fest, dass es ihn nicht mehr störte. Es war sehr dumm von ihm gewesen, sich vor ihnen zu fürchten. Vielleicht schadeten sie ihm, man wusste nie, was sie tun würden, aber das war seine Chance, seine einzige Chance, der Beste zu sein, anders zu sein als alle anderen. Aus dieser Welt hinauszutreten. Rowan tippte ihn mit einem Gänseblümchen an. »Du bist müde. Schließ die Augen.«
Er gehorchte, drehte sich um und streckte sich im Gras aus, wo er nichts sah als eine rote Hitze, die unter seine Lider glitt, und während er da lag, wärmte die Julisonne ihm Gesicht und Hals. Ihre Stimme kitzelte ihn, sie war so nah wie ein Flüstern. »Schlaf ein.«
Sie ritten auf einem weißen Pferd. Allmählich wurde ihm das klar und er wusste, dass sie seit Stunden, seit Jahren ritten und dass er sich an Rowan vor ihm festhielt, und unter ihnen war Wasser, die grünen, unwahrscheinlichen Tiefen der See mit schreienden weißen Möwen darüber. Sie galoppierten durch Sprühnebel und Gischt, die Pferdehufe waren schaumbespritzt, der Salzgeruch frisch und belebend. Micks Gesicht war nass; er stieß einen Freudenschrei aus, sodass die Salzschwalben vom Wellengekräusel aufflogen, und Rowan drehte sich um und lachte ihm über die Schulter zu.
Die ganze Welt war Wasser, eine steigende Oberfläche aus Schaumflecken, und als er sich hinunterbeugte, sah er sein Gesicht gespiegelt und dann mit einem Schock eine andere Landschaft darunter, weit unten in den Tiefen, ein ganzes anderes Land, das dort untergegangen war. Er sah die Hügel und Bergketten, die grünen Täler, in denen winzige Schafe auseinander liefen, als der dunkle Pferdeschatten auf sie fiel. »Wo ist das?«, fragte er atemlos, doch Rowan lachte nur. »Wer weiß?«, rief sie über das Möwengeschrei. Dort unten waren auch Leute. Sie kamen aus ihren Häusern und Bauernhöfen gerannt und deuteten verwundert zu ihm hinauf.»Träume ich?«, fragte er, während das Pferd
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