Die Macht des Zweifels
Blumen â und sie mal richtig abschalten kann.
Als das Telefon klingelt, fährt Monica in ihrem Sessel zusammen. »Monica LaFlamme«, meldet sie sich und schlägt rasch einen Ordner auf ihrem Schreibtisch auf, als hätte die Person am anderen Ende sie beim Träumen erwischt.
»Ja, hallo. Hier spricht Dr. Christine Robichaud. Ich bin Psychiaterin am Maine Medical Center.« Ein Zögern, und schon weià Monica, was als nächstes kommt. »Ich muà einen möglichen Fall von sexuellem MiÃbrauch an einem fünfjährigen Jungen melden.«
Sie macht sich Notizen, während Dr. Robichaud ihr Vorgänge schildert, von denen sie schon zahllose Male gehört hat. Sie schreibt den Namen des Patienten, die Namen der Eltern auf. Etwas läÃt sie kurz aufmerken, aber dann konzentriert sie sich schon wieder auf die Worte der Psychiaterin.
»Liegt bereits ein Polizeibericht vor, den Sie mir zufaxen können?« fragt Monica.
»Die Polizei ist nicht eingeschaltet worden. Der Junge hat den Täter noch nicht identifiziert.«
Daraufhin läÃt Monica ihren Stift sinken. »Doctor Robichaud, Sie wissen, daà ich erst dann eine Ermittlung einleiten kann, wenn ich einen Verdächtigen habe.«
»Das ist nur eine Frage der Zeit. Nathaniel leidet an einer somatoformen Störung, er ist praktisch stumm, ohne daà es dafür eine körperliche Ursache gibt. Ich bin der festen Ãberzeugung, daà er in wenigen Wochen in der Lage sein wird, uns zu sagen, wer ihm das angetan hat.«
»Was sagen die Eltern?«
Die Psychiaterin stockt. »Das Verhalten ihres Sohnes ist ihnen vollkommen neu.«
Monica klopft mit dem Stift auf den Schreibtisch. Wenn Eltern behaupten, von den Aussagen oder Handlungen ihres miÃbrauchten Kindes völlig überrascht zu sein, stellt sich Monicas Erfahrung nach häufig heraus, daà ein Elternteil der Täter ist â oder sogar beide.
Auch Dr. Robichaud ist sich dessen bewuÃt. »Ich dachte, daà Sie vielleicht gern von Anfang an informiert werden möchten, Ms. LaFlamme. Ich hab die Frosts an einen Kinderarzt überwiesen, der auf MiÃbrauchsfälle spezialisiert ist und ihren Sohn gründlich untersuchen soll. Er müÃte Ihnen bald einen Bericht zufaxen.«
Monica notiert sich das, legt auf. Dann überfliegt sie ihre Notizen noch einmal und stellt sich auf einen weiteren Fall ein, der höchstwahrscheinlich im Sande verlaufen wird.
Frost , denkt sie und schreibt den Namen noch einmal auf. Das muà jemand anderes sein.
Wir liegen im Dunkeln, ohne uns zu berühren, dreiÃig Zentimeter zwischen uns.
»Miss Lydia?« flüstere ich und spüre, wie Caleb den Kopf schüttelt. »Wer dann? Wer ist denn auÃer uns beiden mit ihm allein?«
Caleb ist so ruhig, daà ich schon meine, er schläft. »Als wir letzten Monat zur Hochzeit von deiner Cousine gefahren sind, hat Patrick das ganze Wochenende auf ihn aufgepaÃt.«
Ich fahre hoch, stütze mich auf einen Ellbogen. »Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein. Patrick ist Polizist. Und ich kenne ihn, seit ich sechs war.«
»Er hat keine Freundin â«
»Er ist doch erst seit sechs Monaten geschieden!«
»Ich meine ja nur«, Caleb dreht sich zu mir um, »daà du ihn vielleicht nicht so gut kennst, wie du meinst.«
Ich schüttele den Kopf. »Patrick liebt Nathaniel.«
Caleb sieht mich nur an. Seine Antwort ist klar, auch wenn er sie nicht laut ausspricht: Vielleicht zu sehr.
Am nächsten Morgen fährt Caleb schon zur Arbeit, als der Mond noch am Himmel hängt. Wir haben einen für uns beide gerechten Zeitplan aufgestellt: Caleb wird seine Mauer fertigbauen und gegen Mittag wieder nach Hause kommen. Dann soll ich ins Büro fahren, aber das werde ich nicht tun. Meine Arbeit muà jetzt warten. Nathaniel ist das Schreckliche zugestoÃen, weil ich nicht da war, um es zu verhindern. Ich kann nicht riskieren, ihn noch einmal aus den Augen zu lassen.
Es ist eine ehrenvolle Aufgabe â mein Kind zu schützen. Aber an diesem Morgen fällt es mir schwer, eine Löwin zu verstehen, die ihre Jungen behütet; ich kann mich eher in den Hamster hineinversetzen, der seine Nachkommenschaft verschlingt. Ich bin wütend, weil sein Schweigen die Person schützt, die zur Verantwortung gezogen werden sollte.
Heute ist Nathaniel ein Häufchen Elend. Er will unbedingt
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