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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Sie.« Zögernd macht sie mir ein Friedensangebot. »Ich könnte Sie an einen Psychiater für Erwachsene überweisen.«
    Â»Ich will keine Medikamente.«
    Â»Vielleicht würden Sie sich aber gern mal mit jemandem unterhalten.«
    Â»O ja«, sage ich und sehe sie an. »Mit meinem Sohn.«

    Ich vergewissere mich noch einmal mit einem Blick ins Buch. Dann klopfe ich mir mit einer Hand auf den Schoß und schnippe mit den Fingern. »Hund«, sage ich, und wie aufs Stichwort kommt unser Golden Retriever angelaufen.
    Nathaniels Mund verzieht sich, als ich den Hund wegschiebe. »Nein, Mason. Jetzt nicht.« Er dreht sich unter dem schmiedeeisernen Tisch einmal im Kreis und legt sich dann auf meine Füße. Ein kühler Oktoberwind wirbelt Blätter auf uns zu – leuchtendrot und ockergelb und golden. Sie verfangen sich in Nathaniels Haar, legen sich als Lesezeichen auf die Seiten des Lehrbuchs für Gebärdensprache.
    Langsam zieht Nathaniel die Hände unter seinen Oberschenkeln hervor. Er zeigt auf sich, streckt dann die Arme aus, Handflächen nach oben gedreht. Er krümmt die Finger und zieht die Hände an den Körper. Ich möchte . Er klopft sich auf den Schoß, versucht mit den Fingern zu schnippen.
    Â»Du möchtest den Hund bei dir haben?« frage ich. »Soll Mason zu dir kommen?«
    Nathaniels Miene hellt sich auf. Er nickt, und sein Mund öffnet sich zu einem breiten Lächeln. Das ist sein erster vollständiger Satz seit fast einer Woche.
    Beim Klang seines Namens hebt der Hund seinen zotteligen Kopf und stupst die Nase gegen Nathaniels Bauch. »Tja, du hast es nicht anders gewollt«, lache ich. Als Nathaniel es schließlich geschafft hat, Mason wegzuschieben, sind seine Wangen vor Stolz gerötet. Wir haben noch nicht viel gelernt – die Zeichen für mögen und mehr und trinken und Hund . Aber es ist ein Anfang.
    Ich fasse nach Nathaniels kleiner Hand, die ich im Laufe des Nachmittags zu allen Buchstaben des amerikanischen Gebärdenalphabets geformt habe. Ich biege seinen Mittel- und Ringfinger nach unten, während die anderen gestreckt bleiben, das Zeichen für Ich liebe dich .
    Plötzlich springt Mason auf und saust zum Tor, um Caleb zu begrüßen. »Was treibt ihr denn da?« fragt er mit Blick auf das dicke Buch und Nathaniels ungewohnte Handhaltung.
    Â» Wir «, sage ich, wobei ich meinen Zeigefinger überdeutlich von einer Schulter zur anderen bewege, » arbeiten .« Ich mache zwei Fäuste und schlage mit der einen auf die andere, um schwere Arbeit zu symbolisieren.
    Â»Wir«, erklärt Caleb, nimmt das Buch vom Tisch und klemmt es sich unter den Arm, »sind nicht taub .«
    Caleb hält nichts davon, daß Nathaniel die Gebärdensprache lernt. Er meint, wenn wir Nathaniel ein solches Werkzeug in die Hand geben, hat er vielleicht keinen Anreiz mehr, wieder zu sprechen. Ich meine, daß Caleb gut reden hat, er hat wohl noch nicht oft genug erraten müssen, was sein Sohn zum Frühstück möchte. »Paß auf«, sage ich und nicke Nathaniel zu, damit er seinen Satz noch einmal macht. »Er ist so schlau, Caleb.«
    Â»Das weiß ich. Um ihn mache ich mir auch keine Sorgen.« Er packt meinen Ellbogen. »Kann ich dich mal einen Moment allein sprechen?«
    Wir gehen hinein und schließen die Schiebetür, damit Nathaniel uns nicht hören kann. »Was meinst du, wie viele Wörter du ihm beibringen mußt, bis du ihn in dieser Sprache fragen kannst, wer es war?« sagt Caleb.
    Meine Wangen beginnen zu glühen. Bin ich wirklich so leicht zu durchschauen? »Ich will doch bloß, Dr. Robichaud will doch bloß, daß Nathaniel sich verständlich machen kann. Sein jetziger Zustand ist so frustrierend für ihn. Heute habe ich ihm beigebracht, wie er »Ich möchte den Hund bei mir haben« sagen kann. Vielleicht erklärst du mir mal, wie das zu einer Verurteilung führen soll. Vielleicht erklärst du deinem Sohn mal, warum du so wild entschlossen bist, ihm die einzige Methode vorzuenthalten, mit der er sich verständigen kann.«
    Caleb hebt seine Hände wie ein Schiedsrichter. »Ich kann nicht mit dir streiten, Nina. Darin bist du einfach zu gut.« Er öffnet die Tür und geht vor Nathaniel in die Hocke. »Weißt du was, der Tag ist viel zu schön, um hier bloß rumzusitzen und zu lernen. Du könntest auch auf die

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