Die Macht des Zweifels
groÃe Fetzen Papier herauszureiÃen, verstreut sie um seine FüÃe wie Schnee. Er trampelt auf die Seite mit Bildern von Nahrungsmitteln. Er reiÃt die Blätter durch, die eine Familie zeigen. Er sieht sich selbst dabei zu, als blickte er in einen Zauberspiegel. Und dann sieht er nach unten, und etwas sticht ihm ins Auge.
Das Bild, das er die ganze Zeit gesucht hat.
Er greift so fest nach dem Blatt, daà es in seiner Faust zerknittert. Er rennt zu der Tür, die in Dr. Robichauds Büro führt, wo seine Mutter wartet. Er macht es genau so wie der schwarzweiÃe Mann auf dem Blatt. Nathaniel drückt Daumen und Zeigefinger zusammen und fährt sich damit über den Hals, als wollte er sich die Kehle durchschneiden.
Er will sich umbringen.
»Nein, Nathaniel«, sage ich und schüttele den Kopf. »Nein, Schätzchen, nein.« Tränen rinnen mir über die Wangen, und er hält sich an meiner Bluse fest. Als ich nach ihm greife, wehrt er sich, streicht auf meinem Knie ein Stück Papier glatt. Er klopft mit dem Finger auf eine der Zeichnungen.
»Langsam«, weist Dr. Robichaud ihn an, und Nathaniel dreht sich zu ihr um. Wieder zieht er eine Linie über seine Luftröhre. Er schlägt die Zeigefinger aneinander. Dann zeigt er auf sich.
Ich blicke nach unten auf das Blatt, auf das einzige Zeichen, das ich nicht kenne. Wie die anderen Kategorien in dem Buch hat auch diese eine Ãberschrift. RELIGIÃSE SYMBOLE. Und Nathaniels Handbewegung war kein Hinweis auf selbstmörderische Gedanken. Er hat einen imaginären Priesterkragen dargestellt â es ist das Zeichen für Priester .
Priester. Verletzen. Mich.
In meinem Kopf greifen Zahnräder ineinander: Nathaniel, der von dem Wort Vater wie hypnotisiert ist â obwohl er Caleb immer Daddy nennt â und der es sich nie abgewöhnt hat, Pater Szyszynski als Vater Glen zu bezeichnen. Das Kinderbuch, das Pater Szyszynski mitgebracht hatte, das wie vom Erdboden verschluckt war, als ich ihm beim Zubettgehen daraus vorlesen wollte, und das bis jetzt nicht wieder aufgetaucht ist. Der erbitterte Widerstand, den Nathaniel heute morgen geleistet hat, als ich ihm gesagt habe, daà wir zur Kirche fahren.
Und mir fällt noch etwas ein: Ein Sonntag vor wenigen Wochen, als wir uns aufgerafft hatten, zur Messe zu gehen. Als Nathaniel sich abends auszog, fiel mir auf, daà er Unterwäsche trug, die nicht ihm gehörte. Ein billiger kleiner Spiderman-Slip statt der schönen Miniboxershorts, die ich gekauft hatte, damit Nathaniel das gleiche wie sein Dad tragen konnte. Wo hast du denn deine, hatte ich gefragt.
Und seine Antwort: In der Kirche.
Ich nahm an, daà ihm in der Sonntagsschule ein Malheur passiert war und daà seine Lehrerin ihm die Unterhose aus der Kiste mit den Kleiderspenden geholt hatte. Ich hatte eigentlich vorgehabt, mich bei Miss Fiore zu bedanken. Aber ich hatte so viel um die Ohren, daà ich nicht dazu gekommen war.
Jetzt ergreife ich die zitternden Hände meines Sohnes und küsse ihm die Fingerspitzen. Jetzt nehme ich mir alle Zeit der Welt. »Nathaniel«, sage ich, »ich höre dir zu.«
Eine Stunde später, bei mir zu Hause, stellt Monica ihre Tasse in die Spüle. »Ist es Ihnen recht, wenn ich Ihren Mann informiere?«
»Natürlich. Ich würde es ja selbst tun, aber â¦Â« Meine Stimme erstirbt.
»Das ist meine Aufgabe«, beendet sie den Satz und bewahrt mich davor, die Wahrheit aussprechen zu müssen: Ich weià nicht, ob Caleb mir verzeihen wird.
Ich beschäftige mich mit dem Abwasch â die Tassen ausspülen, die nassen Teebeutel ausdrücken und in den Müll werfen. Seit wir Dr. Robichauds Büro verlassen haben, habe ich bewuÃt versucht, mich nur auf Nathaniel zu konzentrieren â nicht nur, weil es richtig ist, sondern auch, weil ich im Grunde meines Herzens ein schrecklicher Feigling bin. Was wird Caleb sagen, was wird er tun?
Monicas Hand berührt meinen Unterarm. »Sie wollten Nathaniel schützen.«
Ich blicke sie an. Kein Wunder, daà wir Sozialarbeiter brauchen. Menschliche Beziehungen können sich so leicht verknoten, und dann bedarf es einer fähigen Person, um die Fäden zu entwirren. Manchmal jedoch läÃt sich ein wirres Knäuel nur dadurch lösen, daà man es herausschneidet und von vorn anfängt.
Sie liest meine Gedanken. »Nina. An Ihrer Stelle hätte ich
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