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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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seinem Kopf – ein Brausen, das lauter ist als all die ungesagten Worte. Nathaniel sieht zu dem kleinen Raum hinüber, in den seine Mutter gegangen ist. Er schiebt ein Auto über die Bank. Er kann sein Herz hören.
    Er stellt die übrigen Matchbox-Autos auf ihre Parkplätze und schiebt sich aus der Bank. Die Hände unter das Hemd geschoben wie ein kleines Tier, geht Nathaniel auf Zehenspitzen den Mittelgang der Kirche hinunter.
    Vor dem Altar kniet er auf den Stufen nieder. Er erinnert sich, daß man um alles beten darf. Wie bei einem Wunsch, wenn man die Geburtstagskerzen ausbläst, nur daß dieser hier direkt bei Gott landet.
    Er betet, daß ihn beim nächsten Mal, wenn er versucht, etwas mit den Händen zu sagen, alle verstehen werden. Er betet, daß er seinen Daddy zurückbekommt.
    Nathaniels Blick fällt auf eine Marmorstatue an der Seite – eine Frau, die das Jesuskind auf dem Schoß hält. Er hat ihren Namen vergessen, aber sie ist hier überall zu sehen – auf Bildern und Wandbehängen und ganz oft auch als Steinfigur. Immer ist da eine Mutter mit Kind zu sehen.
    Er fragt sich, ob da auf dem Sockel oder dort in dem Gemälde auch mal ein Daddy gestanden hat.

    Patrick klopft an die Tür des Bungalows, den ihm der Motel-Manager gezeigt hat. Als sie sich öffnet, steht Caleb vor ihm, rotäugig und unrasiert. »Hör mal«, sagt Patrick sofort, »das Ganze ist furchtbar unangenehm.«
    Caleb blickt auf die Polizeimarke in Patricks Hand. »Und für mich ist es noch ein bißchen unangenehmer als für dich.«
    Das ist der Mann, der sieben Jahre mit Nina zusammengelebt hat. Mit ihr geschlafen hat, ein Kind mit ihr hat. Das ist der Mann, der das Leben geführt hat, nach dem Patrick sich sehnte.
    Er hatte geglaubt, sich mit allem abgefunden zu haben. Nina war glücklich, Patrick wollte, daß sie glücklich ist, und wenn das nun mal bedeutete, daß er dabei keine Rolle spielte, sei’s drum. Aber diese Gleichung funktionierte nur, wenn der Mann, für den Nina sich entschieden hatte, sie auch wert war.
    Patrick hat Caleb immer für einen guten Vater gehalten, und jetzt ist er ein wenig erschrocken darüber, wie sehr er sich wünscht, daß Caleb der Täter ist. Falls er es ist, dann steht eindeutig fest, daß Nina sich für den Falschen entschieden hat.
    Patrick spürt, wie sich seine Finger zur Faust ballen, aber er unterdrückt den Impuls, dem anderen Schmerz zuzufügen. Auf lange Sicht würde das niemandem helfen.
    Â»Hast du ihr das eingeredet?« fragt Caleb gepreßt.
    Â»Das hast du dir einzig und allein selbst zuzuschreiben«, entgegnet Patrick. »Kommst du freiwillig mit aufs Revier?«
    Caleb nimmt schnell seine Jacke vom Bett. »Laß uns gehen«, sagt er.
    Auf der Türschwelle streckt er den Arm aus und berührt Patrick an der Schulter. Patrick dreht sich um und blickt Caleb kühl an. »Ich hab es nicht getan«, sagt Caleb leise. »Nina und Nathaniel, die beiden sind meine andere Hälfte. Ich würde das nie wegwerfen.«
    Patrick läßt nicht zu, daß seine Augen ihn verraten. Aber zum ersten Mal denkt er, daß Caleb vielleicht die Wahrheit sagt.

    Ein anderer Mann hätte sich durch die Beziehung zwischen seiner Frau und Patrick Ducharme vielleicht verunsichern lassen. Caleb hatte zwar nie an Ninas Treue gezweifelt – auch nicht an ihren Gefühlen für ihn –, aber Patrick konnte sein gebrochenes Herz nie verbergen. Caleb hatte oft genug erlebt, wie Patricks Augen seiner Frau durch die Küche folgten, wenn er bei ihnen zum Abendessen war; er hatte gesehen, wie Patrick Nathaniel durch die Luft wirbelte und das fröhliche Lachen des Kleinen einsteckte, wenn niemand guckte. Aber das störte Caleb im Grunde nicht. Schließlich gehörten Nina und Nathaniel ihm. Wenn er etwas für Patrick empfand, dann Mitleid.
    Am Anfang war Caleb eifersüchtig auf Ninas enge Freundschaft mit Patrick gewesen. Aber sie war eine Frau, die viele Freunde hatte. Und er sah rasch ein, daß Patrick nun mal ein wichtiger Teil von Ninas Vergangenheit war. Von ihr zu verlangen, ihn aus ihrem Leben zu verbannen, wäre ein Fehler gewesen.
    Er denkt jetzt an Nina, während er mit Patrick und Monica LaFlamme an dem verkratzten Tisch im Vernehmungsraum des Polizeireviers sitzt. Vor allem fällt ihm jetzt wieder ein, wie kategorisch Nina schon allein den

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