Die Macht des Zweifels
wieder zurück in die Kiste zu packen. Dabei bemerkt er etwas Buntes in einer Ecke hinter dem Heizkessel. Mit Hilfe eines alten Schürhakens zieht er den Fund hervor.
Baseballhandschuhe. Hundert Prozent Baumwolle. KindergröÃe.
Er fischt eine braune Papiertüte aus seiner Tasche. Er dreht und wendet die Unterhose mit behandschuhten Händen. Hinten links, unweit der Mitte, ist ein getrockneter Fleck.
In dem kleinen Raum direkt unter dem Altar, wo Pater Szyszynski in diesem Moment laut aus der Heiligen Schrift liest, neigt Patrick den Kopf und betet, daà es in einer so unglückseligen Situation wie dieser vielleicht doch eine glückliche Fügung geben möge.
Caleb spürt Nathaniels Kichern wie ein klitzekleines Erdbeben, das sich in seinem Brustkorb regt. Er drückt das Ohr noch ein biÃchen fester auf die Brust seines Sohnes. Nathaniel liegt auf dem Boden. Caleb auf ihm, das Ohr nahe am Mund des Jungen. »Sag es noch mal«, bittet Caleb.
Nathaniels Stimme ist noch immer unstet, Silben hängen aneinander wie an einer Schnur. Sein Hals muà wieder lernen, ein Wort zu halten, es Muskel für Muskel zu heben, auf die Zunge zu hieven. Noch ist das alles neu für ihn. Noch ist es eine groÃe Anstrengung.
Aber Caleb kann nicht anders. Er drückt Nathaniels Hand, als das Wort sich seinen mühsamen Weg bahnt, spitz und unsicher. »Daddy.«
Caleb grinst, unsagbar stolz. An seinem Ohr hört er das Wunder in der Lunge seines Sohnes. »Noch einmal«, bettelt Caleb und neigt wieder den Kopf, um zu lauschen.
Eine Erinnerung: Ich suche überall im Haus nach meinen Autoschlüsseln; ich muà mich beeilen, wenn ich Nathaniel rechtzeitig zur Schule bringen und pünktlich zur Arbeit erscheinen will. Nathaniel hat schon seine Jacke und die Schuhe angezogen, wartet auf mich. »Konzentrier dich!« sage ich laut, dann drehe ich mich zu Nathaniel um. »Hast du meine Schlüssel gesehen?«
»Die liegen unter Hosen«, antwortet er.
»Unter Hosen ?«
Ein fröhliches Lachen sprudelt aus ihm heraus. »Du hast Unterhosen gesagt.«
Ich muà auch lachen und vergesse, wonach ich gesucht habe.
Zwei Stunden später betritt Patrick erneut die Kirche. Diesmal ist sie leer. Kerzen flackern, werfen unruhige Schatten. Patrick geht geradewegs nach unten, zum Büro von Pater Szyszynski. Die Tür steht offen, der Priester sitzt an seinem Schreibtisch. Einen Moment lang genieÃt Patrick das Gefühl, heimlicher Beobachter zu sein. Dann klopft er, zweimal, entschlossen.
Glen Szyszynski blickt hoch, lächelt. »Kann ich Ihnen helfen?«
Das wollen wir hoffen , denkt Patrick und tritt ein.
Patrick schiebt ein Formular über den Tisch des Vernehmungszimmers, das Pater Szyszynski über seine Rechte aufklärt. »Das ist so üblich, Pater. Sie sind weder in Gewahrsam noch festgenommen, aber Sie sind bereit, unsere Fragen zu beantworten, und das Gesetz verlangt, daà wir Sie über Ihre Rechte aufklären, bevor ich mit der Befragung beginne.«
Ohne zu zögern, unterschreibt der Priester das Formular, das Patrick zuvor verlesen hat.
»Gern, ich tue alles, um Nathaniel zu helfen.«
Szyszynski war sofort bereit gewesen, die Ermittlungen zu unterstützen. Er hat sich eine Blutprobe abnehmen lassen, nachdem Patrick ihm erklärt hatte, daà sie jeden ausschlieÃen müÃten, der mit Nathaniel Umgang gehabt hat.
Jetzt lehnt Patrick sich auf seinem Stuhl zurück und blickt den Priester an. Er hat schon unzähligen Kriminellen gegenübergesessen, die alle ihre Unschuld beteuert oder sich dumm gestellt haben. Meistens gelingt es ihm, ihre Grausamkeit mit der kühlen Distanz eines erfahrenen Polizisten zu betrachten. Aber heute, dieser gertenschlanke Mann ihm gegenüber â Patrick kann sich nur mit Mühe beherrschen, dem Priester nicht ins Gesicht zu schlagen, nur weil er Nathaniels Namen ausgesprochen hat.
»Wie lange kennen Sie die Frosts schon, Pater Szyszynski?« fragt Patrick.
»Oh, seit ich hier in der Gemeinde angefangen habe. Ich war eine Zeitlang krank gewesen und bin dann hierher versetzt worden. Die Frosts sind, etwa einen Monat nachdem ich hier Priester wurde, nach Biddeford gezogen.« Er lächelt. »Ich hab Nathaniel getauft.«
»Gehen sie regelmäÃig in die Kirche?«
Pater Szyszynski senkt den Blick. »Nicht ganz so regelmäÃig, wie ich es mir wünschen
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