Die Macht des Zweifels
Glen?« fragt er.
Die beste Zeit, um die Kirche zu durchsuchen, ist natürlich während der Messe, wenn Pater Szyszynski â oder Vater Glen, wie Nathaniel ihn nennt â anderweitig beschäftigt ist. Patrick kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in Anzug und Krawatte auf Spurensuche gegangen ist, aber er will nicht auffallen. Er lächelt Fremden zu, während sich alle kurz vor neun in die Kirche drängen. Und als sie sich dem Hauptschiff der Kirche zuwenden, geht er in die entgegengesetzte Richtung, eine Treppe hinunter.
Patrick hat keinen Durchsuchungsbefehl, aber das hier ist schlieÃlich ein öffentlicher Ort. Trotzdem bewegt er sich möglichst leise den Gang entlang, will keine Aufmerksamkeit erregen. Er kommt an Klassenzimmern vorbei, wo kleine Kinder an noch kleineren Tischen sitzen. Wenn er Priester wäre, wo würde er dann die Kiste mit den Kleiderspenden aufbewahren?
Nina hat ihm von dem Sonntag erzählt, als Nathaniel mit einer anderen Unterhose unter seiner Kleidung nach Hause kam. Das muà nicht, aber es könnte etwas bedeuten. Und Patricks Aufgabe ist es, jeden Stein umzudrehen, damit er, wenn er Szyszynski schlieÃlich in die Enge treibt, möglichst viel Munition zur Verfügung hat.
Die Kiste mit den Kleiderspenden ist nicht in der Nähe des Trinkbrunnens oder der Toiletten. Sie ist nicht in Szyszynskis Büro, einem Raum mit prächtiger Holztäfelung und Regalen voller theologischer Literatur. Er rüttelt an einigen verschlossenen Türen auf dem Gang.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Die Sonntagsschullehrerin, eine mütterlich wirkende Frau, steht nur wenige Schritte hinter Patrick. »Oh, Verzeihung«, sagt er. »Ich wollte Ihren Unterricht nicht stören.«
Er bietet seinen ganzen Charme auf, aber die Frau sieht so aus, als kenne sie sich mit Ausreden aus. Patrick redet einfach weiter: »Also, mein kleiner Sohn ist zwei Jahre alt, und er hat sich gerade während Pater Szyszynskis Predigt in die Hose gemacht ⦠und hier unten soll es irgendwo eine Kiste mit Kleiderspenden geben.«
Die Lehrerin lächelt verständnisvoll. »Bei Wasser zu Wein erwischt es die meisten«, sagt sie und führt Patrick dann in das Klassenzimmer, wo fünfzehn kleine Gesichter ihn neugierig mustern. Sie reicht ihm eine groÃe blaue Plastikkiste. »Ich hab keine Ahnung, was drin ist, aber viel Glück.«
Kurz darauf hat Patrick sich im Heizungskeller versteckt, wo er vermutlich nicht so schnell gestört wird. Er steht knietief in alten Kleidungsstücken, darunter Kleider, die mindestens dreiÃig Jahre alt sein müssen, Schuhe mit abgelaufenen Sohlen, Schneeanzüge für Kleinkinder. Er zählt sieben Unterhosen â drei davon sind rosa mit kleinen Barbie-Gesichtern darauf. Die vier übrigen legt er nebeneinander auf den Boden, nimmt sein Handy aus der Tasche und ruft Nina an.
»Wie sieht sie aus?« fragt er sofort, als sie sich meldet. »Die fehlende Unterhose.«
»Was summt denn da so? Wo bist du?«
»Im Heizungskeller von St. Anne«, flüstert Patrick.
»Heute? Jetzt? Du bist verrückt.«
Ungeduldig zeigt Patrick mit seinem behandschuhten Zeigefinger auf die Unterwäsche. »Okay, ich hab hier eine mit Robotern drauf, eine mit Autos und zwei ungemusterte, weiÃe mit blauem Rand. Könnte es eine davon sein?«
»Nein. Es waren Boxershorts. Mit Baseballhandschuhen drauf.«
Wie sie sich an so was erinnern kann, ist ihm schleierhaft. Patrick könnte nicht mal sagen, was er selbst heute für Unterwäsche trägt. »So eine Unterhose ist nicht dabei, Nina.«
»Aber sie muà dasein.«
»Falls er sie behalten hat, was wir nicht wissen, hat er sie vielleicht noch in seiner Privatwohnung. Versteckt.«
»Wie eine Trophäe«, sagt Nina, und die Trauer in ihrer Stimme berührt Patrick schmerzlich.
»Falls er sie noch hat, finden wir sie mit einem Durchsuchungsbefehl«, versichert er. Er sagt ihr nicht, was er denkt: Daà die Unterhose allein kein hinreichender Beweis sein wird. Es gibt etliche Erklärungsmöglichkeiten dafür, die halbwegs schlüssig sind, und wahrscheinlich hat er sie alle schon mal gehört.
»Hast du mit ihm geredet, mit â«
»Noch nicht.«
»Du rufst mich doch an, ja? Hinterher?«
»Natürlich.« erwidert Patrick und schaltet das Handy aus. Er bückt sich, um die Sachen
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