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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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festgenommen?«
    Caleb legt Nathaniel die Hände auf die Schultern und dirigiert ihn zurück zu der Schüssel, in der sein Eis langsam schmilzt. »Hört mal, geht doch irgendwo was trinken, okay? Nina, du kannst mir dann später alles erzählen.«
    Â»Aber willst du denn nicht –«
    Â»Nina«, seufzt Caleb, »laß dir alles von Patrick erklären.« Er sieht zu, wie Nathaniel, den letzten Löffel Eis in den Mund schiebt. »Komm mit, Sohnemann. Wir gucken mal, ob der Bursche aus Rumänien noch nicht zusammengeklappt ist.«
    Als er schon halb aus der Küche ist, läßt Nathaniel die Hand seines Vaters los. Er läuft auf Nina zu und schlingt die Arme um ihre Beine, so daß sie beinahe ins Wanken gerät. »Bis dann, Mom«, strahlt er sie an. »Schlag gut.«
    Was für ein vielsagender Versprecher, denkt Patrick. Wenn Nina könnte, würde sie ihren Sohn mit geballten Fäusten beschützen. Er sieht zu, wie sie dem Kleinen einen Gutenachtkuß gibt. Als Nathaniel zurück zu Caleb läuft, zieht sie den Kopf ein und blinzelt so lange, bis keine Tränen mehr in ihren Augen glänzen. »So«, sagt sie, »gehen wir.«

    Um den Umsatz an den schlecht besuchten Sonntagabenden anzukurbeln, hat das »Tequila Mockingbird« die sogenannte Jimmy Buffet Key Largo Karaoke Night ins Leben gerufen. Man kann so viele Hamburger essen, wie man will, und wer Lust hat, kann seine Sangeskünste zum besten geben. Als Patrick und ich das Lokal betreten, erleben unsere Sinne einen Großangriff: Lichterketten in Form von Palmen zieren den Raum, ein Papagei aus Kreppapier baumelt von der Decke, eine junge Frau mit zuviel Make-up und einem zu kurzen Rock malträtiert gerade »The Wind Beneath My Wings«. Stuyvesant sieht uns kommen und grinst. »Ihr beide kommt doch sonntags nie.«
    Patrick betrachtet eine unglückliche Kellnerin, die gerade fröstelnd im Bikini einen Tisch bedient. »Und jetzt wissen wir auch, warum.«
    Stuyvesant legt zwei Servietten vor uns auf den Tresen. »Der erste Margarita geht aufs Haus«, sagt er.
    Â»Danke, aber das ist uns heute zu …«
    Â»Festlich«, schließe ich.
    Stuyvesant zuckt die Achseln. »Wie ihr wollt.«
    Nachdem er unsere Bestellung aufgenommen und sich abgewendet hat, spüre ich Patricks Blick auf mir. Er möchte reden, aber ich bin noch nicht soweit, noch nicht ganz. Sobald die Worte ausgesprochen sind, läßt sich das, was geschehen wird, nicht mehr zurücknehmen.
    Ich sehe mir die Sängerin an, die das Mikrophon wie einen Zauberstab umklammert. Sie hat beileibe keine berauschende Stimme. »Warum tun Menschen so was?« sage ich gedankenverloren.
    Â»Warum tun Menschen die Dinge, die sie tun?« Patrick trinkt einen Schluck. Spärlicher Applaus setzt ein, als die Frau von der improvisierten Bühne geht. »Ich habe mal gehört, Karaoke hat was mit Selbsterfahrung zu tun. Du bringst den Mut auf, dich da oben hinzustellen und etwas zu tun, was du dir niemals zugetraut hättest, und wenn es vorbei ist, fühlst du dich wie ein besserer Mensch.«
    Â»Klar, und das Publikum braucht Aspirin. Da würde ich doch lieber über glühende Kohlen laufen. Ach, stimmt, das bin ich ja schon.« Es ist mir peinlich, aber mir schießen Tränen in die Augen, und um es zu überspielen, trinke ich einen großen Schluck Whiskey. »Weißt du, daß er mir bei der Beichte geraten hat, über Vergebung nachzudenken? Ist das nicht unfaßbar, daß er die Dreistigkeit besitzt, mir so was zu sagen, Patrick?«
    Â»Er hat nicht das geringste zugegeben«, antwortet Patrick leise. »Er hat mich angesehen, als hätte er überhaupt keine Ahnung, wovon ich rede. Als wäre es ein echter Schock für ihn, als ich ihm von der Unterhose und dem Spermafleck erzählt habe.«
    Â»Patrick«, sage ich und blicke ihn an. »Was soll ich nur tun?«
    Â»Wenn Nathaniel aussagt –«
    Â»Nein.«
    Â»Nina.«
    Ich schüttele den Kopf. »Ich werde ihm das auf gar keinen Fall zumuten.«
    Â»Dann warte eine Weile, bis er stärker ist.«
    Â»Dafür wird er niemals stark genug sein. Soll ich warten, bis es seiner Psyche gelungen ist, es zu verdrängen … und ihn dann in den Zeugenstand zerren und alles wieder aufwühlen? Verrate mir mal, wie das bitte schön in Nathaniels Interesse sein könnte.«
    Patrick

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