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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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flüchteten.
    Die Wärterin reicht mir einen Satz Kleidung. »Ausziehen«, befiehlt sie.
    Ich muß das tun , denke ich, als ich höre, wie sie sich mit einem klatschenden Geräusch Gummihandschuhe überstreift. Ich muß alles tun, um hier rauszukommen . Also zwinge ich mich, an nichts zu denken. Ich spüre die Finger der Wärterin, die mir in Mund und Ohren und Nase und Vagina und Anus dringen. Plötzlich denke ich an meinen Sohn.
    Als es vorbei ist, nimmt die Wärterin meine Sachen, die noch immer feucht vom Blut des Priesters sind, und steckt sie in eine Tüte. Langsam ziehe ich die Gefängniskleidung an, binde sie so fest in der Taille zusammen, daß ich nach Luft schnappen muß. Meine Augen huschen unruhig hin und her, als wir zurück den Gang hinuntergehen.
    Wieder zurück in dem Aufnahmeraum im Eingangsbereich des Gefängnisses, deutet die Wärterin auf einen Telefonapparat. »Los«, weist sie mich an, »Sie können jetzt jemanden anrufen.«
    Ich habe das Recht auf ein privates Telefongespräch, aber ich spüre ihre Blicke auf mir lasten. Ich nehme den Hörer in die Hand, starre ihn an, als hätte ich noch nie ein Telefon gesehen.
    Was auch immer die anwesenden Beamten hören werden, sie werden nicht zugeben, etwas gehört zu haben. Ich habe schon oft versucht, Strafvollzugsbeamte dazu zu bringen, vor Gericht auszusagen, aber sie weigern sich, weil sie nämlich wieder hierher zurückkehren und diese Häftlinge Tag für Tag bewachen müssen.
    Zum ersten Mal ist das für mich von Vorteil.
    Mein Blick trifft den des Beamten in meiner Nähe, dann höre ich auf, Theater zu spielen. Ich wähle, warte ab, bis ich mit etwas außerhalb von hier verbunden werde. »Hallo?« sagt Caleb, das schönste Wort der Welt.
    Â»Wie geht es Nathaniel?«
    Â» Nina . Um Himmels willen, was hast du getan?«
    Â»Wie geht es Nathaniel?« wiederhole ich.
    Â»Was glaubst du denn, wie es ihm geht? Seine Mutter ist festgenommen worden, weil sie jemanden getötet hat!«
    Ich schließe die Augen. »Caleb, du mußt mir jetzt zuhören. Ich erkläre dir alles, wenn wir uns sehen. Hast du schon mit der Polizei gesprochen?«
    Â»Nein –«
    Â»Dann tu es auch nicht. Im Augenblick bin ich im Gefängnis. Sie halten mich über Nacht hier, und morgen ist die Anklageeröffnung.« Jetzt kommen die Tränen. »Du mußt Fisher Carrington anrufen.«
    Â»Wen?«
    Â»Er ist Verteidiger. Und er ist der einzige Mensch, der mir jetzt noch helfen kann. Es ist mir egal, wie du es anstellst, aber bring ihn dazu, daß er meine Verteidigung übernimmt.«
    Â»Was soll ich Nathaniel sagen?«
    Ich atme tief durch. »Daß es mir gutgeht und daß ich morgen wieder zu Hause bin.«
    Caleb ist wütend, ich höre es in seinem kurzen Schweigen. »Warum soll ich das für dich tun, nach dem, was du uns gerade angetan hast?«
    Â»Wenn du willst, daß es weiterhin ein uns gibt«, sage ich, »dann tu es.«
    Nachdem Caleb einfach aufgelegt hat, halte ich weiter den Hörer ans Ohr gepreßt, tue so, als wäre mein Mann noch immer am anderen Ende. Dann lege ich den Hörer auf und blicke die Wärterin an, die mich zurück in meine Zelle bringen will. »Ich mußte es tun«, erkläre ich. »Er begreift das nicht. Ich kann es ihm nicht begreiflich machen. Sie hätten es doch auch getan, oder? Wenn es Ihr Kind wäre, hätten Sie es nicht auch getan?« Ich lasse meine Augen nach rechts und links huschen, ziellos. Ich kaue auf den Fingernägeln, bis die Nagelhaut blutet.
    Ich benehme mich verrückt, weil ich will, daß sie genau das sehen.

    Es ist keine Überraschung, als ich in den Trakt mit den Einzelzellen geführt werde. Zum einen werden neue Häftlinge wegen Selbstmordgefährdung häufig strenger überwacht. Zum anderen bin ich diejenige, die die Hälfte der weiblichen Häftlinge in dieses Gefängnis gebracht hat. Die Wärterin knallt die Tür hinter mir zu, und das ist jetzt meine neue Welt: ein Meter achtzig mal zweieinhalb Meter, eine Metallpritsche, eine schmuddelige Matratze, ein Klo.
    Die Wärterin entfernt sich, und zum ersten Mal an diesem Tag gebe ich meine Beherrschung auf. Ich habe einen Menschen getötet. Ich bin auf sein verlogenes Gesicht zugegangen und habe vier Kugeln hineingeschossen. Die Erinnerung kommt in Bruchstücken –

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