Die Macht des Zweifels
Verblüffung nicht zu zeigen. Gott, wie Quentin diesen Augenblick genieÃt.
»Wie viele Tatzeugen haben wir?«
Chao addiert rasch ein paar Zahlen auf einem Block. »Wir sind jetzt bei sechsunddreiÃig, aber im Hinterzimmer sitzen rund fünfzig Leute, die noch keine Aussage gemacht haben. Aber sie sagen alle so ziemlich das gleiche. Und wir haben die Tat auf Band. WCSH hat das Eröffnungsverfahren für die Fünfuhrnachrichten gefilmt.«
»Wo ist die Waffe?«
»Ein Kollege hat sie als Beweismittel gesichert.«
Quentin nickt. »Und die Täterin?«
»In der Verwahrzelle.«
»Gut. Dann können wir eine Klageschrift wegen Mordes aufsetzen.« Er blickt sich um, schätzt den Stand der Ermittlung ab. »Wo ist ihr Ehemann?«
»Bei den anderen Leuten, die noch vernommen werden müssen, vermute ich.«
»Gibt es irgendwelche Hinweise, daà er mit der Tat zu tun haben könnte? War er in irgendeiner Weise beteiligt?«
Chao blickt kurz zu den anderen Polizisten hinüber, die vor sich hin murmeln und mit den Achseln zucken. »Er ist anscheinend noch nicht vernommen worden.«
»Dann holen Sie ihn her«, sagt Quentin. »Befragen wir ihn.«
Chao spricht einen der Gerichtsdiener an. »Roanoke, hol bitte Caleb Frost her.«
Der ältere Mann blickt Quentin an und sagt kleinlaut: »Der, äh, der ist nicht hier.«
»Wissen Sie das genau?« fragt Quentin langsam.
»Ja. Er, na ja, er hat mich gefragt, ob er zu seinem Kind darf, aber er hat versprochen, daà er zurückkommt.«
»Er hat was ?« Kaum mehr als ein Flüstern, aber aus Quentins Mund klingt es bedrohlich. »Sie haben ihn hier rausspazieren lassen, nachdem seine Frau gerade den Mann erschossen hat, der den Sohn der beiden miÃbraucht haben soll?«
Quentins Wangenmuskeln zucken. »Lassen Sie den Kerl suchen und vernehmen«, weist er Chao an. »Und falls er festgenommen werden muÃ, dann tun Sie das.«
Chao wird böse. »Die Polizei kann nichts dafür, der Gerichtsdiener hat den Fehler gemacht. Mir hat kein Mensch gesagt, daà der Mann überhaupt im Gerichtssaal war.«
Wo denn wohl sonst, wenn gegen den Vergewaltiger seines Sohnes Anklage erhoben werden soll? Aber Quentin atmet nur tief durch. »Wir müssen uns sowieso mit der Täterin befassen. Ist der Richter noch da? Vielleicht kann er gleich gegen sie Anklage erheben.«
»Der Richter ist ⦠unpäÃlich.«
»UnpäÃlich«, wiederholt Quentin.
»Hat drei Valium genommen, nachdem die Schüsse gefallen waren, und ist noch nicht wieder wach geworden.«
Er wäre möglich, einen anderen Richter herzuholen, aber es ist schon ziemlich spät. Und Quentin will auf keinen Fall riskieren, daà die Frau wegen eines törichten Kautionsfanatikers wieder auf freien Fuà kommt. »Nehmen Sie sie vorläufig fest. Wir behalten sie über Nacht hier und kümmern uns morgen um die Anklageerhebung.«
»Ãber Nacht?« fragt Chao nach.
»Ja. Soweit ich weiÃ, steht das Gefängnis von York County noch.«
Der Detective blickt kurz nach unten auf seine Schuhe. »Das schon, aber ⦠na ja, wissen Sie, daà sie Staatsanwältin ist?«
Natürlich weià er das, er weià es, seit er in seinem Büro angerufen wurde. »Ich weià vor allem eins«, entgegnet Quentin. »Sie ist eine Mörderin.«
Evan Chao kennt Nina Frost. Jeder Detective in Biddeford hat irgendwann schon mal mit ihr zusammengearbeitet. Und wie jeder seiner Kollegen kann auch er nachvollziehen, was sie getan hat. Ach verdammt, die Hälfte von ihnen wünschte, sie hätten den Mut, das gleiche zu tun, wenn sie in Ninas Lage wären.
Er reiÃt sich nicht gerade darum, es ihr zu sagen, aber immer noch besser, als wenn dieser Widerling Brown mit ihr redet. Zumindest kann er den nächsten Schritt für sie so schmerzlos wie möglich machen.
Er geht in die Verwahrzelle und löst den Officer ab, der sie bewacht. Lieber wäre es ihm, er könnte sie in ein richtiges Besprechungszimmer bringen, damit sie vielleicht eher anfängt zu reden. Aber es gibt kein sicheres Besprechungszimmer in diesem Gebäude, daher muà das Gespräch durch Gitterstäbe hindurch geführt werden.
Ninas Haar ist in wüster Unordnung, ihre Augen sind so grün, daà sie förmlich leuchten. Auf dem Arm hat sie tiefe Kratzspuren. Es sieht so
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