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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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für Nathaniel begangen.
    Dabei ging es bloß um Nina, ausschließlich um sie.
    Caleb schließt die Augen. Er versucht, sich an den Moment zu erinnern, als Nina ihm sagte, daß sie schwanger sei. »Das sollte nicht passieren«, sagte sie zu ihm. »Deshalb können wir nie vergessen, daß es doch passiert ist.«
    Er hört die Bettdecke rascheln, und dann spürt er, wie sich etwas Warmes an seinen Körper drückt. Er wendet hoffnungsvoll den Kopf, betet, daß alles nur ein böser Traum war, aus dem er erwacht, und daß Nina ruhig schlafend neben ihm liegt. Doch auf ihrem Kissen sieht er Nathaniel, die Augen naß von Tränen. »Ich will meine Mommy wiederhaben«, flüstert er.
    Caleb denkt an Ninas Gesicht, als sie Nathaniel in sich trug, daß es heller strahlte als jeder Stern. Vielleicht ist diese Herrlichkeit schon vor langer Zeit verblaßt, vielleicht hat sie Lichtjahre gebraucht, um ihn erst jetzt zu erreichen. Er wendet sich seinem Sohn zu und sagt: »Ich auch.«

    Fisher Carrington steht im Besprechungszimmer und blickt nach draußen auf den Hof für den Freigang. Als der Strafvollzugsbeamte die Tür hinter sich schließt und wir allein sind, dreht er sich langsam um. Er sieht genauso aus wie beim letzten Mal, als ich ihn gesehen habe, bei Rachels Anhörung zur Feststellung der Verhandlungsfähigkeit: Anzug von Armani, Schuhe von Bruno Magli, volles, weißes nach hinten gekämmtes Haar, mitfühlende blaue Augen. Diese Augen mustern für einen Moment meine viel zu große Gefängniskluft und kehren sofort zu meinem Gesicht zurück. »Tja«, sagt er ernst. »Ich hätte mir nie träumen lassen, daß ich mal hier mit Ihnen sprechen muß.«
    Ich lasse mich auf einen der Stühle sinken. »Wissen Sie was, Fisher? Es gibt so vieles, was man sich nie träumen läßt.«
    Wir starren einander an, versuchen, uns an die vertauschten Rollen zu gewöhnen. Er ist nun nicht mehr mein Gegner, er ist meine einzige Hoffnung. Er hat jetzt das Sagen, ich spiele nur noch die zweite Geige. Und über allem liegt die professionelle Übereinkunft, daß er mich nicht fragen wird, was ich getan habe, und daß ich es ihm nicht sagen muß.
    Â»Sie müssen mich sofort hier rausholen, Fisher. Ich will zu Hause sein, wenn mein Sohn sich zum Mittagessen an den Tisch setzt.«
    Fisher nickt. Das hört er nicht zum ersten Mal. Und letztlich spielt es auch keine Rolle, was ich will. »Ihnen ist doch klar, daß man beantragen wird, Sie in Haft zu behalten«, sagt er.
    Natürlich ist mir das klar. Ich würde das gleiche tun, wenn ich die Anklage vertreten würde. In Maine kann ein Angeklagter, wenn die Staatsanwaltschaft hinreichende Beweise vorlegen kann, daß ein Kapitalverbrechen begangen wurde, ohne Festsetzung einer Kaution in Haft gehalten werden. Bis zum Prozeß.
    Monatelang.
    Â»Nina«, sagt Fisher, das erste Mal, daß er mich mit Vornamen anspricht. »Hören Sie mir zu.«
    Aber ich will ihm nicht zuhören. Ich will, daß er mir zuhört. Ich ringe um meine Selbstbeherrschung, während ich ihn ausdruckslos ansehe. »Was passiert als nächstes, Fisher?«
    Er durchschaut mich wie Glas, aber Fisher Carrington ist ein Gentleman. Und deshalb spielt er mit. Er lächelt, als wären wir alte Freunde. »Als nächstes«, antwortet er, »gehen wir vor Gericht.«

    Patrick steht ganz hinten, noch hinter den zahlreichen Reportern, die über das Anklageeröffnungsverfahren gegen die Staatsanwältin berichten wollen, die kaltblütig einen Priester erschossen hat. Das ist der Stoff für Fernsehfilme, für Romane. Bei ihrer Berichterstattung erwähnen einige Journalisten nicht einmal Ninas Namen.
    Sie kennen sie nicht, denkt Patrick. Und deshalb verstehen sie sie auch nicht.
    Eine angespannte Erwartung erfüllt den Zuschauerraum, und die ersten nehmen ihre Plätze ein. Zyklopenäugige Kameras blinken auf. Patrick bleibt, wo er ist, und lehnt sich gegen die Wand des Gerichtssaals. Er will nicht gesehen werden, und er weiß selbst nicht genau, wieso. Schämt er sich, Zeuge von Ninas Schande zu werden? Oder fürchtet er sich vor dem, was sie in seinem Gesicht entdecken könnte?
    Er hätte nicht kommen sollen. Als Patrick sich das sagt, geht die Tür zur Verwahrzelle auf, und zwei Gerichtsdiener erscheinen, Nina in ihrer Mitte. Sie wirkt klein und

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