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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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aus, als hätte sie sich die selbst zugefügt. Evan schüttelt den Kopf. »Nina, es tut mir wirklich leid … aber ich muß Sie wegen des Mordes an Glen Szyszynski festnehmen.«
    Â»Ich hab ihn getötet?« flüstert sie.
    Â»Ja.«
    Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, verwandelt es. »Kann ich ihn bitte sehen?« fragt sie höflich. »Ich schwöre, ich fasse nichts an, aber bitte, ich muß ihn sehen.«
    Â»Er ist schon weggebracht worden, Nina. Sie können ihn nicht sehen.«
    Â»Aber ich habe ihn getötet?«
    Evan atmet schwer aus. Als er Nina Frost das letzte Mal gesehen hat, vertrat sie die Anklage in einem Fall, für den er zuständig gewesen war – eine Vergewaltigung. Sie hatte sich vor dem Täter im Zeugenstand aufgebaut und ihn ausgepreßt wie ein Zitrone. Sie hatte ihn so aussehen lassen wie sie jetzt in diesem Moment aussieht. »Sind Sie bereit, eine Aussage zu machen, Nina?«
    Â»Nein, ich kann nicht. Ich kann nicht. Ich hab getan, was nötig war, mehr kann ich nicht tun.«
    Er zieht das Blatt heraus, auf dem ihre Rechte stehen. »Ich muß Sie über Ihre Rechte aufklären.«
    Â»Ich hab getan, was nötig war.«
    Evan muß die Stimme heben. »Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht …«
    Â»Ich kann nicht mehr tun. Ich habe getan, was nötig war«, unterbricht ihn Nina.
    Als Evan fertig ist, reicht er ihr einen Stift durch das Gitter, damit sie das Blatt unterschreibt, aber er rutscht ihr aus den Fingern. Sie flüstert: »Ich kann nicht mehr tun.«
    Â»Kommen Sie, Nina«, sagt Evan sanft. Er schließt die Verwahrzelle auf, führt sie durch die Büroräume des Sheriffs und hinaus zu einem Polizeiwagen. Er hält die Tür für sie auf und hilft ihr hinein. »Die Anklageerhebung ist erst morgen, deshalb muß ich Sie über Nacht ins Gefängnis bringen. Sie werden eine Einzelzelle bekommen, und ich sorge dafür, daß man sich um Sie kümmert. Okay?«
    Doch Nina Frost hat sich auf der Rückbank des Wagens zusammengerollt und scheint gar nicht zu hören, was er sagt.

    Der Strafvollzugsbeamte im Aufnahmeraum des Gefängnisses lutscht ein Eukalyptusbonbon, während er mich auffordert, mein Leben auf die wenigen Dinge zu reduzieren, die sie in einem Gefängnis wissen müssen: Name, Geburtsdatum, Größe, Gewicht, Augenfarbe, Allergien, Medikamente, Hausarzt. Ich antworte leise, von der Prozedur fasziniert. Normalerweise trete ich in diesem Stück erst im zweiten Akt auf. Den Anfang mitzubekommen ist eine neue Erfahrung für mich.
    Ein Hauch Eukalyptus umweht mich, als der Sergeant erneut mit seinem Stift auf das Blatt klopft. »Besondere Kennzeichen?« fragt er.
    Er meint Muttermale, Leberflecken, Tätowierungen. Ich habe eine Narbe , denke ich insgeheim, auf dem Herzen .
    Doch ehe ich antworten kann, öffnet ein anderer Strafvollzugsbeamter meine schwarze Tasche und kippt den Inhalt auf den Schreibtisch. Kaugummi, drei verklebte Pfefferminzbonbons, ein Scheckbuch, mein Portemonnaie. Die Nebenprodukte der Mutterschaft: Fotos von Nathaniel aus dem letzten Jahr, eine Packung Buntstifte. Zwei weitere volle Magazine für die Waffe.
    Ich friere plötzlich. »Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr tun«, flüstere ich und will mich ganz klein zusammenrollen.
    Â»Wir sind aber noch nicht fertig«, sagt der Beamte. Er rollt meine Fingerkuppen über ein Tintenkissen und macht drei Sets Fingerabdrücke. Er stellt mich vor eine Wand, reicht mir ein Täfelchen. Ich befolge seine Anweisungen wie ein Zombie. Ich sehe ihn nicht an. Er sagt mir nicht, wann der Blitz kommt; jetzt weiß ich, warum jeder Kriminelle auf dem Foto für die Verbrecherkartei so aussieht, als wäre er überrascht worden.
    Als ich nach dem gleißenden Lichtblitz wieder etwas sehen kann, steht eine Gefängniswärterin vor mir. Sie hat durchgehende Augenbrauen auf der Stirn und ist gebaut wie ein Footballspieler. Ich stolpere hinter ihr her in einen Raum, der nicht viel größer ist als ein Wandschrank und in dem Regale voller ordentlich gefalteter, grell orangefarbener Gefängniskleidung stehen. Die Gefängnisse von Connecticut mußten ihre nagelneuen waldgrünen Overalls verkaufen, fällt mir plötzlich ein, weil immer wieder Häftlinge in die Wälder

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