Die Macht
vergessen.« Sie zeigte auf die Fotos auf ihrem Schreibtisch. »Ich muss mich gleich um die Sache kümmern. Es ist ein Desaster. Aber wir könnten uns ja nach der Arbeit auf einen Drink treffen.«
»Das wäre nett. Du brauchst nur zu sagen, wann und wo.«
»Sagen wir, um sechs im Café Jamaica.«
»Klingt gut«, sagte Rapp und zeigte noch einmal auf ihren Notizblock, doch sie schüttelte erneut den Kopf. Widerwillig küsste er sie auf die Wange und flüsterte ihr ganz leise zu: Ich muss es unbedingt wissen.
17
Capitol Hill, Donnerstagmorgen
Norbert Steveken traf sehr früh im Kapitol ein. Er gab seine Pistole bei der Capitol Hill Police am Sicherheitstor ab und machte sich auf die Suche nach seinem Gönner. Steveken gehörte zu den Menschen, die man fünf- oder sechsmal treffen musste, damit man sie in Erinnerung behielt, was ihm nur recht war. In seinem Geschäft war es ein großer Vorteil, wenn man möglichst unauffällig blieb. Er war eins fünfundsiebzig groß, hatte braunes Haar und haselnussbraune Augen. Er war vor kurzem vierzig Jahre alt geworden und trotz der Fettpolster an den Hüften immer noch erstaunlich flink auf den Beinen. Seine Beweglichkeit verdankte er vor allem der Tatsache, dass er viermal die Woche Handball spielte. Norbert Steveken war ein zäher kleiner Mann, der sich seinen Kindheitstraum verwirklichte, als er zum FBI kam.
Es war der größte Tag seines Lebens, als er sich im Jahr 1986 schließlich Special Agent Norbert Steveken nennen durfte. Seine Eltern und Verwandten saßen in der ersten Reihe, als er vom Direktor persönlich vereidigt wurde. Zuerst fand er den Job spannend und interessant; allein die Tatsache, zur berühmten Bundeskriminalpolizei der USA zu gehören, reichte schon aus, dass er sein Leben als großes Abenteuer empfand. Doch nach einer Weile begannen ihn einige Dinge zu stören – vor allem die Tatsache, dass er nach drei Jahren beim FBI noch immer keinen einzigen echten Verbrecher gejagt hatte. Die Bürokratie war einfach allgegenwärtig; es gab tonnenweise Papierkram zu erledigen. Irgendwann fragte er sich, warum er überhaupt eine Waffe bei sich hatte, wenn er zur Arbeit ging. In seinem vierten Jahr kam etwas Leben in die Sache, als er nach Miami versetzt wurde, um bei der Aufklärung von Banküberfällen mitzuhelfen. Doch nach zwei Jahren kam er schon wieder zurück nach Washington, wo man ihn erneut zur Schreibtischarbeit verdonnerte. Es war in seinem zehnten Jahr beim FBI, dass er Senator Hank Clark kennen lernte.
Es entsprach den üblichen Gepflogenheiten, dass das FBI dem Senat und dem Repräsentantenhaus dabei half, Erkundigungen über Leute einzuholen, die für wichtige Posten in Betracht kamen. Steveken wurde beauftragt, ein Jahr lang für Clarks Ausschuss zu arbeiten. In dieser Zeit lernte er den Senator näher kennen. Für Steveken war dieses Jahr von größter Bedeutung. Clark öffnete ihm die Augen dafür, wie die Dinge in Washington wirklich liefen. Es war der Anfang vom Ende seiner Laufbahn beim FBI.
Mit dem finanziellen Rückhalt, den Clark ihm bot, verließ er schließlich das FBI und gründete seine eigene Sicherheitsberatungsfirma. Nach vier Jahren verdiente er bereits dreimal so viel wie der Direktor des FBI. Er war sein eigener Chef, seine Dienste waren überaus gefragt, und er hatte den Papierkram endgültig hinter sich.
Senator Clark kannte viele einflussreiche Leute, die gutes Geld dafür zahlten, künftige Mitarbeiter auf Herz und Nieren prüfen zu lassen. Da waren Väter, die die Freunde ihrer Töchter für ein paar Tage beschatten ließen, außerdem Unternehmer, die ihm bereitwillig 5000 Dollar pro Tag zahlten, damit er ihren Angestellten Lektionen in Industriespionage gab und ihnen beibrachte, wie man sich gegen feindliche Spionage zur Wehr setzen konnte. Der Schritt in die Selbstständigkeit hatte sich für ihn sichtlich gelohnt.
Steveken arbeitete sich durch das Labyrinth von Gängen und Treppen, um Senator Clark in seinem privaten Refugium aufzusuchen. Diese Privaträume, die nur den dienstältesten Senatoren zustanden, waren teilweise kaum größer als eine Besenkammer, manche wiederum waren recht komfortable Büroräume, und einige wenige erinnerten an die luxuriösen Räumlichkeiten eines Männerclubs aus dem 19. Jahrhundert. Jedes Mal, wenn einer der dienstältesten Senatoren aus dem Amt schied, weil er entweder die Wahl verloren hatte, in den Ruhestand getreten oder gestorben war, entbrannte ein erbitterter Kampf um sein
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