Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
bahnte sich seinen Weg durch seine Brust und seinen Hals, bis es aus seinem Mund herausbrach, gefolgt von einem Schwall übel riechender Luft und einem glasigen, gelb gefärbten Schaum. Danach ereignete sich eine ähnliche Entladung, nur in anderer Richtung und mit deutlich mehr Flüssigkeit. Selbst wenn er es gewollt hätte – er hätte es nicht mehr auf den Abtritt geschafft. Er kam ja nicht einmal aus dem Bett. Der Gestank reizte ihn erneut zum Würgen, bis er sich schließlich erschöpft fragte, was schlimmer roch, sein Sputum oder der Inhalt seiner Gedärme. Nicht einmal während seiner Pesterkrankung hatte er sich so elend gefühlt.
Eine kühle Hand legte sich auf seine Stirn.
»Lass mich, Mutter«, flüsterte er. »Du könntest dich anstecken.«
»Das ist eines der Risiken, die ich um Euretwillen eingegangen bin«, sagte seine Mutter mit der Stimme einer Fremden. Er öffnete mühsam die Augen und sah, dass seine Mutter sich in ein junges Mädchen mit hellen Haaren verwandelt hatte.
»Sanchia?«
»Zu Euren Diensten. Wie ich sehe, hat Euer Sklave nicht übertrieben. Ihr seid im Begriff, zu sterben. Wollt Ihr sterben?«
Er wollte es energisch verneinen und sie hinausschicken, doch er brachte nur ein trockenes Krächzen heraus, dem gleich darauf das nächste Würgen folgte.
Sie trat nicht zurück und nahm auch nicht die Hand von seiner Stirn. Er wusste, dass er vermutlich hohes Fieber hatte und dass er nicht richtig bei Sinnen war, doch nie im Leben hatte er ein Gesicht klarer vor sich gesehen als ihres in diesem Moment.
Hatte er vorher geglaubt, dass sie einem Engel ähnelte, so erkannte er jetzt, dass er sich getäuscht hatte. Sie sah durchaus irdisch aus, mit Wangen, die von der Kälte – oder vielleicht vor Ärger? – gerötet waren und mit einem auf allerliebste Weise schräg stehenden Vorderzahn, wie von unten sehr gut zu sehen war. Ihr linkes Ohr stand ein klein wenig mehr ab als das rechte, und unter ihrem Kinn war eine kleine Narbe zu sehen.
Hatte sie damals, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, auch schon so ausgesehen? Wie kam es, dass all diese kleinen Unvollkommenheiten nur dazu führten, ihre Schönheit hervorzuheben, statt zu mindern? Lag es daran, dass er sie von unten statt von oben anschaute? Hing es mit dem Sinnspruch zusammen, dass Schönheit im Auge des Betrachters lag? Als er ihr auf der Eisfläche gegenübergestanden hatte, war sie ein verärgertes, unmöglich angezogenes Mädchen gewesen, niedlich, aber zu klein und zu dünn für seinen Geschmack. Und natürlich viel zu kindlich, sie konnte ja kaum fünfzehn Jahre alt sein. Doch das spielte aus dieser Perspektive keine Rolle. Von hier unten aus gesehen wirkte sie wie eine junge Venus.
Ihre Oberlippe war schwungvoll gerundet und ähnelte dem oberen Rand einer Herzkirsche, und wenn sie die Lider senkte, nahmen ihre Augen den Farbton einer seltenen blauen Blume an, deren Namen er nicht kannte. Wenn sie sprach, zeigte sich neben ihrem Mundwinkel ein Grübchen, das sich vertiefte, sobald sie lächelte oder – wie jetzt – die Lippen zusammenpresste.
»Ihr schaut so blöde drein wie ein Schafbock vor der Schlachtbank«, meinte sie kühl. »Denkt Ihr darüber nach, ob Ihr leben oder sterben wollt, oder habt Ihr Euch schon entschieden?«
»Glaubt Ihr, dass dies der richtige medizinische Ansatz ist?«, kam Rufios zweifelnde Stimme aus dem Hintergrund.
»Ich sage Euch, was ich glaube. Ich glaube, dass er leben will. Er will seine Tauben weiter ausschicken. Vielleicht möchte er ihnen sogar wieder Briefe mitgeben. Messèr Lorenzo, wollt Ihr leben? Ihr schafft es, wenn Ihr daran glaubt.«
Wieder wollte Lorenzo antworten und ihr die Tür weisen, doch stattdessen krümmte sich sein Körper ohne sein Zutun zusammen.
Nach diesem letzten Krampfanfall schwankte er am Rande der Bewusstlosigkeit, und für einen Moment geriet Sanchia in echte Panik.
»Gebt mir die Salbe«, befahl sie dem Sklaven.
»Das kann nicht Euer Ernst sein! Es geht ihm schon schlecht genug!«
»Ich will sie mir nur ansehen.«
Rufio brachte das Gewünschte, einen Tiegel mit einer graugrünen Substanz. Sanchia roch daran und kostete vorsichtig von der schmierigen Masse. Angeekelt verzog sie das Gesicht.
»Was ist es?«, fragte Rufio.
»Rindertalg, Kräuter, eine unbedenkliche Menge Schwefel, verschiedene Gewürze und wahrscheinlich zerstoßene und gekochte Innereien.« Sie kannte die meisten Ingredienzien, die von den Drogisten am Rialto
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