Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
zusammengemischt und verkauft wurden. Meist nützten sie ebenso viel, wie sie schadeten, nämlich überhaupt nicht. In diesem Fall war es anders.
»Es könnte ein Gift sein. Man kann es weder schmecken noch riechen, also ist es vielleicht Arsenikon. Die Anzeichen deuten jedenfalls darauf hin.«
»Ich habe von diesem Gift gehört«, sagte Rufio grimmig.
»Es ist nicht nur schädlich. Manche Apotheker geben es in winziger Menge in die Medizin. Es wird auch in der Glasherstellung als Mittel zum Entfärben verwendet. Wenn man vorsichtig damit umgeht, ist es eine nützliche Substanz. Möglicherweise ist hier ein Missgeschick passiert, und es ist zu viel in die Mischung geraten.«
»Möglicherweise war es aber auch Absicht«, stellte Rufio mit unbewegter Miene fest.
»Das spielt im Moment keine Rolle. Helft mir, ihn aufzusetzen.«
»Was habt Ihr vor?«
»Er muss trinken.«
»Er wird alles wieder erbrechen.«
»Das ist egal. Er muss so viel trinken, wie sein Körper aufnehmen kann, immer wieder, bis alles herausgespült ist.«
»Ich hole Wein.«
»Nein, keinen Wein. Wasser. Es sollte aber gekocht sein, wenn möglich mit getrockneter Kamille. Habt Ihr so etwas im Haus?«
»Ich frage die Köchin.«
Er verschwand, und Sanchia wandte sich Lorenzo zu, der sie aus fiebrig getrübten Augen musterte. »Wollt Ihr nun endlich hinausgehen? Es schickt sich nicht für eine junge Nonne, sich im Zimmer eines Mannes aufzuhalten.«
»Ich bin keine Nonne, sondern lebe nur bei ihnen. Und ich bin in der Krankenhilfe ausgebildet.« Sie betrachtete ihn prüfend. Er schien im Augenblick völlig bei sich zu sein, und es war ihm offenbar mehr als peinlich, dass sie ihn in diesem elenden Zustand sehen konnte.
»Muss ich sterben?« Halb liegend, halb sitzend hing er in den zerwühlten, schmutzigen Kissen, in einer Lache aus Blut, Auswurf und Exkrementen.
»Unsinn. Das ist nur eine Verdauungsstörung, morgen seid Ihr wieder gesund.«
»Es fühlt sich aber an, als würde ich sterben. Ich habe gehört, was Ihr vorhin über das Gift gesagt habt.« Die Worte kamen stoßweise, und Sanchia erkannte die Verzweiflung und die Angst, die dahintersteckten.
»Hört mir zu. Schaut mich an. Ich weiß, dass Ihr wieder gesund werdet. Glaubt Ihr ebenfalls daran, dass Ihr leben werdet? Ihr müsst daran glauben, dann gelingt es auch!«
Die nächsten Worte brachte er nur unter Mühen heraus. »Soll ich Euch Briefe schreiben? Schreibt Ihr mir dann zurück?« Es war kaum zu hören, doch sie hatte jedes Wort verstanden.
Sie schluckte, bestürzt und verlegen. Schließlich senkte sie den Kopf. »Dazu müsstet Ihr aber zuerst gesund werden.«
»Ich will mein Bestes geben.«
»Glaubt Ihr daran?«
»Wenn Ihr es tut – ja. Bitte, wollt Ihr nun hinausgehen? Es beschämt mich, dass Ihr mich so hier liegen seht.«
»Ihr seid nicht der erste Kranke, mit dem ich zu tun habe. Die meisten sind in einem weit schlimmeren Zustand.«
»Ihr lügt. Aber Ihr tut es auf bezaubernde Weise.« Schwach hob er die Hand und deutete auf ihre zusammengekrampften Finger. »Was ist das?«
»Ich weiß nicht, vielleicht ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen.« Entsetzen breitete sich in ihr aus, als sie erkannte, dass sie dieselben Worte gesprochen hatte wie schon einmal, zu einer anderen Zeit, an einem anderen Krankenbett.
»Nein«, sagte Rufio, der mit einem Topf dampfenden Kamillensuds zur Türe hereinkam. »Es ist kein Vogel. Es ist ein Schiff.« Seine Stimme war dunkel und selbstsicher. »Ein Schiff aus einem fernen Land, und es ist nach einer langen Reise hier angekommen.«
Später, als Lorenzo nach scheinbar endlosen Krämpfen und ungezählten Bechern Kamillensuds in einen unruhigen Schlaf gesunken war, wechselte sie mit Rufios Hilfe die Laken und wusch den Patienten mehrmals von Kopf bis Fuß mit kühlem Wasser. Das Fieber war merklich gesunken. Die Haut des Kranken fühlte sich noch feucht und klamm an, aber die Durchblutung wurde zusehends besser.
Sanchia setzte mehrmals an, den Schwarzen zu fragen, was er mit seiner Bemerkung über das Schiff gemeint hatte, doch eine unerklärliche Scheu hielt sie letztlich davon ab. Sie musste das Amulett nicht betrachten, um zu wissen, dass er Recht hatte. Die Form glich einem Schiff ebenso gut wie einem Vogel. Vielleicht bedeutete es ja auch beides und war damit von doppelter Symbolik.
Geistesabwesend zog sie den provisorischen Verband von der Wunde. Bisher war sie nicht dazu gekommen, sie richtig zu versorgen.
Rufio stand
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