Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
hinter ihr. »Wird er leben?«
»Das liegt in Gottes Hand.«
Als der Schwarze ein ärgerliches Gesicht machte, setzte sie hinzu: »Im Augenblick sieht es danach aus, als hätte er das Schlimmste überstanden. Er ist jung, gesund und stark. Aber bei jeder Krankheit können Komplikationen auftreten. Hier in diesem Fall geht die Gefahr von der Wunde aus.« Sie betrachtete den übel aussehenden, tief gezackten Riss an seinem Schienbein, in dem immer noch Reste der giftigen Schmiere klebten. Um die Verletzung herum hatte sich eine schwere Entzündung ausgebreitet. Man hätte den Riss gestern schon nähen müssen, doch dazu war es jetzt zu spät. Die Wunde musste offen bleiben, damit sie die überschüssigen Sekrete absondern konnte.
»Es ist meine Schuld«, sagte Rufio. »Ich habe ihn mit solcher Gewalt aus dem Wasser gerissen, dass er sich an der Eiskante so stark verletzte.«
»Hättet Ihr ihn nicht so rasch herausgezogen, wäre er tot«, erwiderte Sanchia sachlich. »Würdet Ihr mir bitte den stärksten Schnaps bringen, den Ihr im Haus habt? Einen großen Becher voll.«
Sie merkte förmlich, wie er zurückprallte. »Vielleicht tut es auch ein kleiner Schluck Wein«, meinte er reserviert. »Ich will Euch nicht dreinreden, aber Ihr seid noch sehr jung, Madonna.«
Sanchia verkniff sich ein Lachen. »Ich will ihn nicht trinken.«
Er holte das Gewünschte, und sie wusch die Wunde gründlich mit dem Alkohol aus und bedeckte sie anschließend mit einer in Kamillensud getränkten Kompresse.
»Der Eiter muss aus der Wunde gezogen werden«, erklärte sie. »Wenn Ihr mir Papier und Feder bringt, schreibe ich Euch die Zutaten für eine Salbe auf, die Ihr täglich frisch auf die Verletzung aufbringen müsst. Sie ist schwarz und riecht grausig nach Pech, aber sie wirkt sehr gut. Lasst Sie von dem Drogisten mischen, der seinen Laden hinter San Polo hat, nirgends sonst. Er heißt Alfonso und hat nur noch ein Ohr.«
»Was ist mit dem anderen passiert?«, erkundigte sich Lorenzo mit schwacher Stimme.
»Ich habe es ihm abgeschnitten.«
Lorenzo lachte ungläubig, doch als er ihre ernste Miene sah, hielt er inne und zog fragend die Brauen hoch. Er nahm ihr den Becher mit dem restlichen Schnaps aus der Hand und kippte ihn hinunter, bevor sie protestieren konnte. »Das hilft mir, den Schreck über Eure Blutrünstigkeit zu überwinden.«
Sein Versuch, mit ihr zu scherzen, schlug fehl. Verärgert entriss sie ihm den Becher und warf ihn zur Seite. »Ihr setzt Eure Gesundung aufs Spiel, Messèr Lorenzo! Das Ohr habe ich abschneiden müssen, weil ein Hund es zerfleischt hatte und weil es eine einzige entzündete Masse war. Dasselbe wird mit Eurem Bein geschehen, wenn Ihr nicht ganz genau das tut, was ich Euch sage!«
»Sieh an, dieses zarte Geschöpf hat ja Zähne.« Die Bemerkung kam nur noch als Murmeln heraus. Lorenzo war bereits dabei, wieder einzuschlafen, doch Sanchia zwang ihn dazu, einen weiteren Becher von der inzwischen abgekühlten Kamillenbrühe zu trinken, die sie mit reichlich Salz versetzt hatte. »Wehe, Ihr spuckt es aus. Ihr müsst jeden Schluck zu Euch nehmen!«
Er verzog das Gesicht und zwang das abscheuliche Gebräu nur mit Mühe hinunter. »Kind, wollt Ihr mich ein weiteres Mal vergiften?«
Es erboste sie, dass er sie so nannte, obwohl sie mit einiger Vernunft zugeben musste, dass sie aus seiner Sicht tatsächlich nichts anderes war. »Das Salz bindet die Flüssigkeit in Eurem Körper. Ihr habt sehr viel davon verloren und werdet austrocknen, wenn Ihr Euch nicht vorseht.« An Rufio gewandt, setzte sie hinzu: »Er muss im Laufe des Tages noch einige Becher davon trinken. Ihr könnt Zucker oder Honig dazugeben, das macht es vielleicht erträglicher. Aber auf keinen Fall Wein oder gar Schnaps!«
Der Schwarze nickte und schaute unbewegt zu, wie sein Schützling langsam wieder in Schlaf versank.
»Das Kind«, sagte er. »Es hat überlebt, nicht wahr?«
Sanchia hob die Schultern. »Es hatte Glück.«
»Nein«, sagte Rufio. »Es hatte Euch.«
Er verließ geräuschlos das Zimmer, um Schreibzeug zu holen.
Die ganze Zeit hatte sie sich stark gefühlt, doch nun setzte mit einem Schlag die Erschöpfung ein. Sie massierte sich mit beiden Händen die schmerzenden Schultern. Lorenzo war nicht nur groß, sondern auch schwer, und es hatte sie trotz der Hilfe des Sklaven Mühe gekostet, ihn ständig anzuheben und umzulagern. Er hatte die ganze Prozedur dadurch verschlimmert, dass er sich steif gemacht und versucht hatte,
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