Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
sich ihren Berührungen zu entziehen. Obschon daran gewöhnt, kranke Männer aller Altersklassen zu pflegen und zu versorgen, hatte sein widerstrebendes Verhalten sie mit der Zeit so irritiert, dass auch sie die Situation als zunehmend peinlich empfunden hatte. Vor allem war sie sich mehr und mehr seines Körpers bewusst geworden, und zwar in dem Sinne, dass sie ihn als Mann wahrgenommen hatte. Sie hatte plötzlich ihr Augenmerk auf anatomische Details gerichtet, die sonst absolut uninteressant für sie waren. Schließlich hatte sie es Rufio allein überlassen, ihn zu reinigen und zum Trinken aufzusetzen.
Dennoch fühlte sie sich nach den vielen anstrengenden Stunden restlos ausgelaugt und hätte sich gerne hingelegt.
Vor ein paar Minuten hatte es zur Vesper geläutet; Moses wartete sicher schon unten vor dem Eingang, denn sie hatte ihn angewiesen, sie um diese Zeit abzuholen.
Seit sie hier war, hatte sie bis auf einen kleinen Krug verdünnten Wein und ein mit Oliven gefülltes Stück Brot nichts zu sich genommen. Das war noch vor der Mittagszeit gewesen, mittlerweile verspürte sie nagenden Hunger. Sie vergaß während der Arbeit häufig das Essen, und wenn Eleonora nicht darauf geachtet hätte, dass sie mit zu den Mahlzeiten ging, würde sie vermutlich schon längst wie die ausgemergelten Nonnen aussehen, die dem Herrn nicht nur durch ihre Selbstgeißelungen, sondern auch durch beharrliches Dauerfasten ihre Hingabe bewiesen.
Sanchia trat an das geschlossene Fenster und schaute hinab auf den von einer Mauer umfriedeten Hof, in dem ein kleiner Duftgarten angelegt war, mit Geißblatt, Jasmin, Rosen und Oleander. Im Frühling, wenn alles in Blüte stand, musste der Duft betäubend sein.
Der Wind trieb einen Regenschauer gegen die Fensterscheibe und erinnerte daran, dass der Frühling noch viele Wochen entfernt war. Draußen war es nicht nur kalt, sondern so ungemütlich, dass sie nur mit Schaudern an die bevorstehende Rückkehr zum Kloster dachte.
Sanchia zog einen der beiden ungepolsterten Lehnstühle ans Bett und setzte sich. Müßig schaute sie sich in der Kammer um, doch sie entdeckte nichts, das sie nicht schon längst gesehen hatte. Die Einrichtung war nüchtern, fast karg, die Wände mit glattem Holz vertäfelt. Außer den beiden Stühlen gab es nur ein Bett mit einem Kreuz über dem Kopfende, eine Truhe, ein Regal mit zerfledderten Notizblättern und Landkarten. Der einzige Gegenstand, der einen Hauch von Luxus symbolisierte, war eine maßstabsgetreu geschnitzte Galeere auf dem oberen Regalbrett, mit perfekt nachgebildetem Holzwerk und aus Tuch genähten Segeln.
Auf einem Schemel in der Ecke des Zimmers lag nachlässig hingeworfen der Ledergurt mit der Dolchscheide, aus der ein fein ziselierter Horngriff ragte, und unter dem Schemel stand eine Kiste, in der ein Sortiment weiterer Messer lag.
Die Kammer befand sich wie die anderen Schlafzimmer seitlich vom großen Hauptsaal, war aber nicht nur durch die Verbindungstür zum Portego, sondern auch über die Außentreppe von der Landseite des Palazzo aus zu erreichen. Als der Sklave sie hergebracht hatte, waren sie über diese Außentreppe gekommen, und natürlich hatte Sanchia sich gefragt, ob er sie an den übrigen Familienmitgliedern vorbeischleusen wollte. Doch es war die ganze Zeit über still im Haus gewesen. Hin und wieder, wenn Rufio durch die Verbindungstür in den Portego gegangen war, hatte sie einen Blick in den großen Saal werfen können und keine Menschenseele gesehen. Dafür war ihr nicht verborgen geblieben, mit welch verschwenderischer Pracht der Portego gestaltet war. Die Wände waren bis auf Kopfhöhe mit goldgeprägtem Leder bespannt, das mit einem Gesims abschloss, auf dem einzigartige Kunstgegenstände aufgereiht waren, Bronzen, seltene Gläser und Vasen und anderes edles Geschirr.
Der mit farbenprächtigen Mosaiken belegte Terrazzoboden war so blank poliert, dass er bei einfallendem Sonnenlicht das Auge blendete, ebenso wie die vielen kostbar gerahmten Spiegel zwischen den Türen an den Längsseiten. Das Licht war dabei von einer diffusen goldenen Tönung, gefiltert durch die große Scheibe an der Stirnseite des Saals. Inzwischen war es dunkel geworden, doch sogar im Schein der Öllampen schien von dem Fenster ihres Vaters ein magisches Leuchten auszugehen, das nicht nur den Hauptsaal erfüllte, sondern auch in die Seitenkammern strahlte.
Das Mobiliar und die übrige Ausstattung waren zwar prunkvoll, doch fand Sanchia sie eher
Weitere Kostenlose Bücher