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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Sanchia.«
    Sie blieb stehen, und Moses, der zwei Schritte hinter ihr hertrottete, prallte gegen sie.
    Der Schwarze war heute wieder rot gekleidet, der Stoff seines Gewandes war diesmal von intensiv gefärbtem Magenta. Vermutlich stellte seine Aufmachung eine Art Livree dar, denn sie war mit dem Wappen der Familie bestickt, in einem aufwändigen Muster, das sich nicht nur auf den Bruststücken seines Umhangs, sondern auch auf der eng anliegenden Strumpfhose wiederholte. Seine Haut war so dunkel wie Kohle, und das Weiß seiner Augen und seiner Zähne hob sich dagegen so auffällig ab, dass die Fremdartigkeit seiner Erscheinung noch stärker hervortrat. Die Nase war jedoch anders als bei den Mohren, die Sanchia schon gesehen hatte, nicht breit und sattelförmig, sondern elegant gebogen, und auch die Stirn war nicht fliehend, sondern markant geformt. Das Haar war sehr kurz und stark gekraust, wie winzige, dicht beieinander sitzende Wollknäuel.
    »Ich habe hier auf Euch gewartet. Man sagte mir, dass Ihr um diese Zeit vorbeikommt, weil Ihr jeden Tag ins Spital geht. Es heißt, Ihr seid eine begabte Hebamme und Heilerin. Warum verschwendet Ihr Eure Künste auf das gemeine Volk? Eure Fähigkeiten und Eure Schönheit – sie sollten einem höheren Zweck dienen als der Behandlung von Krätze und Skrofulose. Kommt mit mir, dann zeige ich Euch, was ich meine.«
    Sanchia spürte eine Aufwallung von Angst und trat einen Schritt zur Seite, um Moses ins Blickfeld zu rücken. Der Stallknecht war nicht gerade ein Goliath, aber er war von solidem, kräftigen Körperbau und würde im Notfall ein paar ordentliche Fausthiebe landen können. Bis jetzt hatte sie sich in den Gassen des Sestiere immer sicher gefühlt, doch sie hatte genug Opfer von Gewaltverbrechen gesehen, um zu wissen, dass Venedig nicht das Paradies war, sondern ein Ort mit vielen unberechenbaren, verwinkelten Seitenwegen.
    »Was wollt Ihr von mir?«
    »Rufio. Nennt mich Rufio, Madonna .« Er betrachtete sie. »Ihr seht wirklich aus wie sie.«
    Ein Gefühl von Enge schnürte ihr die Brust zu. »Wen meint Ihr?«
    »Die Heilige Jungfrau. Unsere Madonna. Ihr ähnelt ihrem Bildnis.«
    »Sie sieht auf jedem Bildnis anders aus«, widersprach Sanchia. Die Bemerkungen des Schwarzen verstörten sie auf eigenartige Weise. Seine Gegenwart löste Beklommenheit in ihr aus. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre zurück hinter die sicheren Mauern des Klosters geflohen.
    »Ihr müsst mitkommen«, sagte Rufio.
    »Ich habe es eilig. Bitte lasst mich durch.« Sie wollte an ihm vorbeigehen, doch er trat behände einen Schritt zwischen sie und die vor ihr liegende Gasseneinmündung. Sie registrierte, dass er nicht nur fremdartig aussah, sondern auch so roch, auf eine so ungewohnte Weise, dass sie unwillkürlich die Nüstern blähte. Die Erkenntnis, dass sie diese Gerüche schon einmal wahrgenommen hatte, traf sie wie ein Schock. Plötzlich erinnerte sie sich an die durchdringenden orientalischen Düfte, die dem dunklen, verbrannten Andron entstiegen waren, damals, bei ihrem Besuch in der Ca’ Caloprini.
    Zimt war dabei, Safran und Zedernholz ebenfalls. Doch da gab es noch mehr Untertöne, von anderen Gerüchen, die sie nicht kannte. Daneben roch er jedoch auch ganz gewöhnlich, nach Wolle, Holzasche und Mann.
    »Die Dame will nichts mit Euch zu tun haben«, sagte Moses. Er war nicht unbedingt der Schnellste im Denken, doch immerhin hatte er sofort begriffen, dass Sanchia nicht gewillt war, diesem Schwarzen zu folgen.
    »Ich fürchte, dann wird er sterben, der gute Junge.«
    »Wer?«, fragte Moses töricht. »Ich?« Seine Hand fuhr an seinen Gürtel, wo er sein Messer verstaut hatte, ein stumpfes, untaugliches Gerät, mit dem er den Ziegen die Hufe auskratzte oder sich selbst die Fingernägel. »Kommt nur, dann zeige ich Euch, wer hier stirbt!«
    »Was ist mit ihm?«, fragte Sanchia den Sklaven.
    »Er fiebert.«
    »Das ist normal nach der Unterkühlung. Es wird vergehen.« Sie drängte an dem Schwarzen vorbei und ging mit hoch erhobenem Kopf weiter. Moses folgte ihr eilig.
    »Er erbricht sich ständig.« Rufio schloss auf und tänzelte dicht am Rand der Fondamenta entlang. »Seine Wunde sieht brandig aus.«
    »Sie kann nicht von einem auf den anderen Tag brandig werden.«
    »Vielleicht kommt es von der Salbe, die der Medicus daraufgestrichen hat.«
    Sanchia blieb stehen. »Was für eine Salbe?«
    Rufio zuckte die Achseln. »Ein grünes Zeug, das nach verwesten Tieren roch. Er hat

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