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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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die Nachwirkungen einer Darmentzündung auskurieren zu müssen, was Pasquale ihm unbesehen glaubte. Die von unbeschreiblich stinkenden Gasen begleiteten Koliken des Alten hatten jeden noch so leisen Zweifel im Keim erstickt. Die Hausmagd hatte Pasquale unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass der Alte seit einiger Zeit Blut aus seinen Gedärmen ausschied.
    Vittore hockte schnarchend auf dem Boden neben dem Wassertor und zuckte von Zeit zu Zeit, als hätte ihn jemand getreten. Der Ofenmeister hatte in den letzten Jahren stark abgebaut, und Pasquale hatte sich schon vor Jahren des Öfteren gefragt, warum er ihm nicht längst die Tür gewiesen hatte. Die Scuola würde ihm eine kleine Rente zahlen, und in der Werkstatt gäbe es einen Esser weniger.
    Vielleicht tat er es nicht, weil Vittore jemand aus der alten Zeit war. Ein vertrautes Gesicht, das in ihm den Eindruck hervorrief, die Vergangenheit sei nur einen Atemzug entfernt. Fast so, dass man denken könnte, alles sei wie früher. Die Werkstatt zu betreten und Vittore an einem der Öfen stehen zu sehen, die Glaspfeife in den Händen und einen verdrossenen Ausdruck im Gesicht, machte Pasquale in manchen Augenblicken glauben, gleich könne Piero um die Ecke kommen und den Alten schelten, weil er zu viel soff.
    Doch es kam niemand, und es schalt auch niemand mehr, außer Pasquale selbst. Manchmal fühlte er sich trotz seiner nahezu dreißig Jahre und seiner unbestreitbar großen Erfahrung jämmerlich unzulänglich. Egal, was er auch anstellte – ein Meister wie Piero würde er niemals werden.
    Er trat von dem Spiegel zurück und betrachtete die hochglänzende Oberfläche. Besser würde er es nicht hinkriegen. Die Metalllegierung war gleichmäßig und glatt verteilt. Jetzt hieß es warten, bis der Überzug getrocknet war, bevor die nächste Schicht aufgebracht werden konnte.
    Er ging zu Vittore und stieß ihn mit dem Fuß an, bis der Alte auffuhr und sich die verklebten Augen rieb. »Ist schon Schluss für heute?«
    »Höchstens mit deiner Faulenzerei. Komm zu dir und kümmere dich um die Öfen.«
    »Sagte ich nicht, dass ich krank bin?« Vittore schimpfte vor sich hin, rappelte sich dann aber doch hoch und drückte sich die Hand ins Kreuz, während er mit leidender Miene zu dem neuen Streckofen ging, um die Befeuerung zu überprüfen.
    »Ich fahre gleich rüber nach Castello«, sagte Pasquale. »Du sollst unterdessen eine Besorgung für mich erledigen.« Er wich einem Gesellen aus, der mit der Glaspfeife eine Ladung Schmelzmasse aufnahm und sie zur Werkbank manövrierte, um dort zusammen mit einem Lehrjungen ein Zylinderstück zu formen.
    »Pass auf, dass du unterwegs nicht zufällig ein Bein oder ein Auge verlierst.« Vittore lachte keckernd und entblößte dabei die beiden einzigen ihm noch verbliebenen Zahnstummel.
    Pasquale gab darauf keine Antwort. Zu seinem Verdruss hatte der Ofenmeister Wind von seinen Sprengstoffexperimenten bekommen. Vielleicht war er unvorsichtig geworden. Nicht einmal Vittore war so häufig betrunken, dass er nicht mitbekam, wie oft Pasquale mit Sebastiano unterwegs war.
    »Ich möchte, dass du eine große Marmorplatte beim Steinmetz besorgst. Sie soll mindestens so lang sein wie du und etwa halb so breit. Und so glatt poliert, dass man sich darin spiegeln kann.«
    »Willst du wieder ein neues Experiment anfangen?«
    Pasquale nickte. »Ich will versuchen, die Scheibe auf ein flüssiges Metallbad zu legen statt umgekehrt.«
    »Dafür wirst du eine Menge Quecksilber brauchen.«
    »Ich sagte doch, dass ich nach Castello muss.«
    »Du wirst dich noch töten mit dem Teufelszeug«, brummte Vittore. »Wenn du dich nicht vorher mit dem Schwarzpulver umbringst. Mein Junge, du musst besser auf dich aufpassen. Das, was von dir noch übrig ist, brauchen wir hier.« Er klopfte ihm auf die Schulter, eine Vertraulichkeit, die Pasquale eigentlich als anmaßend hätte empfinden müssen, die ihn jedoch mit einer eigenartigen Wärme erfüllte.
    Unvermittelt begriff er, wie einsam sein Leben war. Er schuftete von früh bis spät, um seine Lieferverpflichtungen zu erfüllen und den Menschen, die ihm anvertraut waren, Lohn und Brot zu geben. Statt seine kärgliche freie Zeit der Muße oder der Geselligkeit zu widmen, war er wie besessen auf der Suche nach dem perfekten Spiegel und der perfekten Explosion. Eine Mischung, die so absurd war wie der Versuch, den Tag mit der Nacht zu vereinen. Reine, lichthelle Vollkommenheit auf der einen Seite und

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