Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
vorstellen.«
»Wir hätten sie besuchen können.«
»Mit der ganzen Familie im Kloster einzufallen wäre keine gute Idee«, widersprach Giovanni. »Es ist immer gut, eine solche erste Begegnung auf neutralem Boden stattfinden zu lassen. Außerdem empfinde ich es als klugen Schachzug von dem Jungen. Sie schaut von drüben aus den Feierlichkeiten zu und sieht uns auf einer vergoldeten Prunkbarke an Land kommen, in prächtigen Gewändern, begleitet von den höchsten Würdenträgern des Dogen. Das hat eine erhabenere Wirkung, als uns bei einem alltäglichen Hausbesuch in Lehnstühlen vor dem Kamin vorzufinden.«
»Du legst noch genauso viel Wert auf Äußerlichkeiten wie früher«, stellte Francesco fest.
Caterina lächelte ihren Schwager von unten herauf an. »Hast du etwa gedacht, wir hätten uns in den drei Jahren verändert?«
»Nein, sicher nicht.« Er musterte sie. »Du auf keinen Fall.«
»Wie meinst du das?«, wollte sie mit flatternden Lidern wissen.
»Was glaubst du wohl? Hast du heute noch nicht in den Spiegel geschaut?«
»Falls doch, so habe ich darin gewiss nicht dieses Strahlen erkannt, wie du es verbreitest. Wirst du denn niemals älter?«
»Meine Liebe, kein Wesen auf Erden kann zauberhafter sein als du«, behauptete Francesco galant. »Wenn jemand noch genauso aussieht wie in seiner Jugend, so bist du es, Caterina.«
»Vielleicht könnt ihr das höfische Gefasel lassen und euch auf das Wesentliche konzentrieren«, sagte Giovanni. »Wir begrüßen gleich unsere Nichte, die Braut unseres Sohnes, und sollten uns unserem Rang gemäß verhalten.«
Seine Zurechtweisung kam in so kaltem Ton, dass Lorenzo ihn stirnrunzelnd anschaute. Konnte es sein, dass sein Vater eifersüchtig war? Seine Mutter war tatsächlich eine ausnehmend attraktive Erscheinung in ihrem dunkelblauen Kleid mit dem goldbestickten Überwurf und dem seidenen Schleier, der ihre Lockenpracht eher zierte als bedeckte. Ihr Gesicht war nach wie vor jugendlich und makellos, ihre Zähne strahlten vollzählig und in glänzendem Weiß, und in ihrem Haar zeigte sich keine Spur von Grau. Der kostbare Perlenschmuck, den sie um den Hals und im Haar trug, unterstrich ihre Schönheit nur, statt wie bei anderen Frauen von kleineren körperlichen Mängeln abzulenken. Doch sie war bereits über vierzig, und die Damen, mit denen Francesco in allen Häfen der bekannten Welt zusammentraf, waren meist deutlich jünger als seine Mutter. Für Giovanni schien dieser Umstand jedoch bedeutungslos zu sein.
Eine flämische Kogge schob sich zwischen den Bucintoro und die Fondamenta und versperrte den Ehrengästen des Dogen die Sicht auf die Kaimauer. Lorenzo verschränkte ungeduldig die Arme vor der Brust. Das Geschwätz um ihn herum war wie ein lästiges, unaufhörliches Summen.
Auf der anderen Seite des Bucintoro stand Enrico Grimani gemeinsam mit seinem Vater und tat ebenfalls so, als sei für ihn die Beteiligung an diesem Ehrengeleit keine lästige Pflicht, sondern angenehme Abwechslung. Von den wichtigsten Bürgern der Stadt und ihren nahen Familienangehörigen wurde erwartet, dass sie in regelmäßigen Abständen bei den zahllosen, übers Jahr verteilten Repräsentationen auftauchten und damit ihre Wichtigkeit unter Beweis stellten. Ob es nun an einem der vielen kirchlichen Feiertage war oder, wie heute, anlässlich irgendeines Amtsjubiläums – niemand konnte sich dem Anspruch der Serenissima entziehen.
Lorenzo war sich der hasserfüllten Seitenblicke Enricos deutlich bewusst, doch er schaute betont zur Seite, um keine Konflikte zu schüren.
»Der junge Grimani sieht aus, als wollte er dich am liebsten über Bord werfen«, stellte Francesco fest. »Nimmt er dir immer noch übel, dass du ihm die Hand durchbohrt hast?«
»Wir werden irgendwann Gelegenheit finden, den Rüpel in seine Schranken zu weisen«, erklärte Giovanni gleichmütig. »Jedes Ding auf Erden hat seine Zeit. Er hat sich schon allzu viel herausgenommen. Das an sich wäre nicht mal schlimm, aber er macht den Fehler, dabei keine Rücksicht auf die Öffentlichkeit zu nehmen. Eines Tages tritt sein Vater von der Bühne der Macht ab, dann ist sein Sohn Staub unter den Füßen des Zehnerrats.«
»Das gehört alles der Vergangenheit an«, meinte Caterina. »Es war nur eine dumme Meinungsverschiedenheit, nichts weiter.«
Die Kogge mit den gaffenden Seeleuten an der Reling glitt vorbei, und die Gäste auf der Prachtbarke hatten wieder freien Ausblick auf die Piazetta. Hunderte von
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