Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
heiraten!«
Auch das hörte sich so gut durchdacht an, dass Sanchia ihrer Zimmergenossin eigentlich hätte Bewunderung zollen müssen. Doch außer Ärger wollten sich bei ihr keine Gefühle einstellen, abgesehen von dem Schock, der ihr nach der Unterhaltung mit dem Dominikanermönch immer noch in den Knochen steckte.
Sie schob den Zuber zur Tür und fing an, sich auszuziehen. Den wollenen Überwurf legte sie über die Lehne eines Stuhls, bevor sie die Bänder ihres Unterkleids löste. Als sie die Verschnürung ihres Hemdes auseinanderzog, fröstelte sie. In der kleinen, vollgestellten Kammer war es dank des Ofens behaglich warm, doch gegen die Kälte, die ihr Inneres erfüllte, vermochten auch die brennenden Eichenscheite nichts auszurichten.
»Du sagst ja gar nichts zu meiner wunderbaren Idee!«, rief Eleonora ungeduldig.
Sanchia schlüpfte in ihr Nachtgewand und ergriff einen Kamm, um ihre immer noch feuchten Haarsträhnen zu entwirren. Unvermittelt beschloss sie, Eleonora die Wahrheit zu sagen.
»Ich fürchte, im Augenblick haben wir andere Sorgen, die weit schlimmer sind. Dein Wunsch nach einem Dispens ist wohl wirklich im Verhältnis dazu ein sehr kleines Problem.«
Eleonora ließ das Handtuch fallen. Mit einem verzagten Seufzen sackte sie auf den Schemel, die Hände gegen die Brust gepresst. »Du weißt es.«
Sanchia blickte erstaunt auf. »Was weiß ich?«
Dann wusste sie es tatsächlich. Ihr wurde klar, dass es noch eine weitere unausgesprochene Wahrheit gab, schon bevor sie die plötzliche Blässe in Eleonoras Gesicht und die dunklen Ringe unter ihren Augen deutlich wahrnahm und bevor Eleonora ihre Frage beantwortete.
»Ich bekomme ein Kind.«
Lorenzo beschattete die Augen mit der Hand und ließ seine Blicke über den Kai schweifen, bis er die Stelle ausgemacht hatte, wo sie auf ihn warten wollte. Seine Mutter bewegte sich neben ihm und legte die Hand auf seinen Arm. »Meinst du, dass wir sie gleich wiedererkennen werden?«
»Ganz bestimmt.«
»Du schon. Aber ich habe sie so lange nicht gesehen! Wie lange ist es her, Giovanni?«
Ihr Mann zuckte gleichmütig die Achseln. »Wer weiß das schon. Zehn Jahre, fünfzehn. Die Zeit vergeht so rasend schnell.«
»Nein, es war in dem Jahr, als meine Schwester starb. Da kam die Kleine ins Kloster. Wie alt war sie da, Lorenzo?«
»Zehn«, sagte Lorenzo. »Fast elf.«
»Und sie wollte dich damals schon heiraten.« Caterina schüttelte den Kopf, dann lächelte sie, zuerst zögernd, dann strahlend. »Dass es jetzt tatsächlich dazu kommen soll, ist für mich unbegreiflich!«
»Ich kann es genauso wenig verstehen«, mischte Francesco sich trocken ein. Er war erst vor einer Woche von seiner Reise zurückgekehrt und wirkte in seinen formellen Gewändern und mit dem samtverbrämten Barett seltsam fehl am Platze. Braun gebrannt und mit blitzenden Augen wie eh und je, schien er trotz der drei Jahre, die er fort gewesen war, um keinen Tag gealtert.
»Dass du eine Nonne heiraten möchtest, ist wirklich eine merkwürdige Wendung der Ereignisse.«
Lorenzo sah das ebenso, aber er hütete sich, einen Kommentar dazu abzugeben. Nicht, bevor er nicht alle Einzelheiten erfahren hatte. Der Brief, der Löcher in die Tasche seines Beutels brannte, hatte ihn überstürzt von Neapel aufbrechen lassen, mitten aus wichtigen Verhandlungen heraus. Er hatte auf dem Weg zur adriatischen Küste drei Pferde zuschanden geritten. Nicht etwa, weil Eleonora schwanger war und verzweifelt einen Ausweg aus dem Kloster suchte – die abstruse Idee, mit seiner Hilfe einen Dispens zu erwirken, hatte er erst tagelang verdauen müssen –, sondern wegen eines bestimmten Satzes am Ende des Briefes. Ein Mörder aus der Vergangenheit ist zurückgekehrt, wir sind hier nicht mehr sicher … Mehr hatte sie dazu nicht geschrieben, doch über den Rest war er in groben Zügen im Bilde.
Ihr geheimer Treffpunkt war aufgeflogen, ihre Affäre bekannt geworden. Und nicht nur das: Sie war in Gefahr.
»Du hättest sie zu uns nach Hause bringen können«, meinte Caterina. »Weshalb treffen wir sie hier unter all den vielen Menschen?«
»Weil heute ein guter Tag ist, weil wir alle zusammen sind und weil ich nicht länger warten wollte.«
»Warum konnten wir sie nicht im Hause Toderini treffen?«, wollte Caterina wissen. »Das wäre eine gute Gelegenheit für eine schöne Familienfeier gewesen. Vater kommt kaum noch unter Leute, vielleicht hätte es ihm gefallen.«
»Ich wollte sie Euch zuerst
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