Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Knacken der zerbrechenden Strohhalme unter ihrem Hinterteil und streifte sich die durchnässten Strümpfe von den Beinen. Ihre Füße fühlten sich an wie zwei Eisklumpen.
Eleonora war zwar in den letzten Wochen nur noch selten in Schwermut versunken, aber dieser ständige Wechsel aus Angriffslust und tränenreichen Zusammenbrüchen war mehr, als sie ertragen konnte, zumindest an Tagen wie diesem, mit einer Erkältung in den Knochen und nichts im Magen außer einem steinharten Brotkanten und einem matschigen Gebäckstück aus der Küche eines glücklosen Fürstensohnes.
Die Kälte ihrer Glieder breitete sich in ihr Inneres aus und erreichte ihr Herz. Sie dachte an Lorenzo, versuchte, sich die Wärme seines Körpers vorzustellen, die Kraft seiner Arme, wenn er sie hielt und an sich presste. Sie rief sich in Erinnerung, wie sein Herz gegen ihre Brust schlug, machtvoll und beständig, eine Empfindung, die den Anblick, wie er mit durchschnittenem Hals zu Boden gesunken war, hätte auslöschen sollen. Doch sie tat es nicht. Das Bild ließ sich nicht vertreiben, gleichgültig, wie sehr sie sich anstrengte. Wie hätte sie es denn auch vergessen können? Er hatte zu ihr herübergeschaut, bevor er gefallen war. Sein letzter Blick hatte ihr gegolten. Er hatte sie angesehen, so wie damals vor vielen Jahren ihr Vater.
Vater, dachte sie. Wo bist du? Wie konnte es geschehen, dass man dir und mir das angetan hat?
Ihr gesamter Körper schien nur noch aus Eis zu bestehen. Es kam ihr so vor, als genügte die geringste Berührung, um sie zerbrechen zu lassen.
»Ist das Essen schon fertig?«, schluchzte Eleonora.
Die profane Äußerung ließ Sanchia zusammenfahren, sie hätte gleichzeitig schreien und lachen mögen bei dieser harten Landung in der Gegenwart. Eleonora war weit davon entfernt, ihre Fassung zurückzugewinnen.
»Warum mussten wir unbedingt nach Florenz?«, heulte sie. »Es ist so schrecklich hier! Wir hätten uns irgendwo einschiffen und fortsegeln können, weit fort, in die Fremde!«
Sanchia zweifelte daran, dass es ihnen in der Fremde, wo immer das nach Eleonoras Vorstellung sein mochte, besser ergangen wäre. »In einem anderen Land wären wir nur aufgefallen. Hier versteht man wenigstens unsere Sprache, der Alltag in der Stadt ist mit dem in Venedig vergleichbar. Wir können hier in der Menge untertauchen und halbwegs normal leben.«
Die Entscheidung, nach Florenz zu reisen, war gar nicht großartig diskutiert worden. Es hatte sich nach dem Überfall der Türken ganz einfach so ergeben.
»Ich habe eine Schwester dort, sie hat ein Haus und wird uns aufnehmen.« Das waren Girolamos erste verständliche Handzeichen gewesen, nachdem sie nach ihrer überhasteten Flucht innegehalten hatten. Danach war alles überraschend reibungslos verlaufen. Sie hatten zwei Tage gerastet, bis die Schmerzen von ihren Blessuren ein wenig nachgelassen hatten. Ihre restliche Reise hatten sie zu Fuß zurückgelegt, an Padua vorbei und dann quer durch das Herzogtum Ferrara, bis sie nach etlichen anstrengenden Tagesmärschen schließlich die Republik Florenz erreicht hatten. Sie bettelten bei Bauern um Essen und Schlafplätze in Scheunen und waren ansonsten von früh bis spät unterwegs. Endlich in der Stadt und bei Girolamos Schwester angekommen, erschienen ihnen die Umstände ihrer Flucht bald wie ein böser Traum, und der von eher lästigen als gefährlichen Widrigkeiten gespickte Alltag trat in den Vordergrund, ohne dass es ihnen jedoch ihrem Empfinden nach dabei besser ging als zuvor. Die Strapazen der Normalität waren eigentümlicherweise schwerer auszuhalten als der albtraumartige Horror der Vergangenheit, vielleicht weil sie ständig gegenwärtig waren, während das Gestern zusehends in die Ferne rückte.
Die Ereignisse nach der Landung der Türkenschiffe war in Sanchias Erinnerung nur noch ein groteskes Schauspiel, verzerrt und unwirklich. Zuerst hatten sie kaum glauben können, dass sie am Leben waren, als sie sich, übersät von den Holzsplittern des zerschossenen Bootes und besudelt vom Blut des Esels, hinter einer Düne kauernd wiederfanden. Sie hatten keinen Mucks getan, in der Hoffnung, die Türken würden nicht nach ihnen suchen. Doch gleich darauf waren sie aufgetaucht, ein Trupp von drei Männern, mit Krummsäbeln in den Fäusten und Mordlust in den Augen.
Girolamo hatte sich Giulia wie einen Sack Rüben über die Schulter geworfen und war losgerannt, Sanchia und Eleonora waren ihm wie von Sinnen hinterhergestürzt,
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