Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
löschten die Flammen des Zorns vor dem Palast der Medici ebenso nachhaltig wie das Freudenfeuer auf dem Domplatz. Während die solcherart abgekühlten Aufrührer sich stumm und mit eingezogenen Köpfen in alle Richtungen zerstreuten, schaute Sanchia sich suchend um. Doch Jacopo Sagredo war nirgends zu sehen, er war ebenso unvermutet verschwunden, wie er vorhin aufgetaucht war.
Die Geburt war bereits weit fortgeschritten, als sie im Haus ihrer Patientin ankam. Völlig durchnässt von dem Wolkenbruch, blieb ihr gerade genug Zeit, den triefenden Umhang abzustreifen, als bei der Gebärenden auch schon die Presswehen einsetzten. Die Frau hockte mit weit gespreizten Beinen auf dem Bett und schrie aus voller Kehle, als die Schmerzen sich steigerten. Sanchia ließ sich vom Ehemann Essig bringen und reinigte sich die Hände, bevor sie bei der Frau das von Blut und Fruchtwasser besudelte Nachthemd anhob und sie vorsichtig untersuchte. Die Eröffnung schien ihr vollständig, doch zu ihrer Besorgnis tastete sie nicht die runde Wölbung eines Köpfchens, sondern einen winzigen Fuß.
Während die übrige Kinderschar mit offenen Mündern und schreckhaft aufgerissenen Augen in der Stube nebenan wartete und auf die Schreie ihrer Mutter lauschte, stand der Vater mit nicht minder gequälter Miene im Türrahmen. »Man sollte nicht meinen, dass es in diesem Haus schon so viele Geburten gab. Die Furcht ist immer noch dieselbe wie beim ersten Mal. Ist das nicht dumm?«
Sanchia hätte ihm sagen können, dass es alles andere als dumm war. Die Gefahr, unter der Geburt oder danach im Kindbett zu sterben, verminderte sich keineswegs mit der Anzahl der Entbindungen, die eine Frau erlebt hatte. Bei Mehrlingsgeburten war das Risiko ungleich höher. Sanchia hatte schon etliche davon betreut, und es war keine einzige dabei gewesen, bei der es ohne Komplikationen verlaufen war. Die Kinder kamen häufig zu früh und waren zu klein, um zu überleben, oder eines von ihnen lag falsch und passte nicht durch den Geburtskanal.
Hier würde das Erste der Kinder mit Steiß und Füßen voran das Licht der Welt erblicken, was bei der neunten Geburt eigentlich kein Problem sein dürfte. Doch bis die Entbindung vorbei war, konnte noch viel geschehen.
»Ist alles so, wie es sein sollte?«, fragte der Mann mit schamhaft abgewandtem Gesicht.
»Das erste Kind liegt falsch, aber das will noch nichts sagen.«
Sanchia wartete bis zur nächsten Wehenpause und tastete dann sorgfältig den Leib der Gebärenden ab. Die Frau hatte sich teilnahmslos zurückgelegt, den Kopf schlaff zur Seite gewandt. Es war, als hätte sie sich stumm ins Innere ihres Körpers zurückgezogen, gleichgültig gegenüber den Ereignissen, denen sie ausgeliefert war. Sanchia hatte dergleichen oft erlebt. In solchen Momenten, kurz vor der Austreibung des Kindes, versanken die Frauen in einer Art Zwischenwelt. Anfangs war es ihr so vorgekommen, als wandelten die Gebärenden an der Grenze zum Tode, doch irgendwann war sie zu der Überzeugung gelangt, dass die Frauen abtauchten wie in einen geheimnisvollen Brunnen, an dessen Grunde es eine Quelle gab, aus der sie ihre letzten Kräfte schöpfen konnten.
Die Schwester der Frau traf ein, ein anderer der Söhne hatte sie geholt. Munter machte sie sich daran, in der Küche den Herd in Betrieb zu nehmen und für alle Essen herzurichten. Auf die Schwangere warf sie nur einen flüchtigen Blick. »Dem Herrn sei Dank, dass dieser Lebensabschnitt hinter mir liegt. Ich musste es nur zweimal ertragen, und sie leben beide. Mein Kleiner ist jetzt acht.«
Die Gebärende erwachte aus ihrer Lethargie und warf ihr einen giftigen Blick zu. »Du hast die letzten beiden weggemacht! Schande über dich, dass du dich damit noch brüstest!« Ihr wütendes Flüstern ging in ein lang gezogenes Keuchen und dann in schrilles Schreien über, als die nächste Wehe einsetzte und rasch an Stärke gewann.
Die Schwester hob ungerührt die Schultern und verließ die Kammer, um sich in der Küche um das Essen zu kümmern.
Das erste Kind kam. Die Frau drückte es in einer einzigen langen Wehe heraus, während sie so laut schrie, dass die Kinder nebenan angstvoll zu wimmern begannen und nach ihrer Mutter riefen. Der Mann hatte sich zu ihnen gesellt, und alle miteinander hoben sie an, laut zu beten, während ihre Tante in der Küche hektisch mit den Töpfen klapperte. Von irgendwoher war das Bellen eines Hundes zu hören, und als wäre es noch nicht genug an Lärm, fing als Nächstes
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