Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Papyrusrollen in die Flammen geworfen. Wenn ich es richtig eingeschätzt habe, handelte es sich um Stücke aus hellenischer Zeit. Sie haben fast zweitausend Jahre überdauert, und ihr Wert bestand gewiss nicht allein nur darin, das Herz irgendeines dekadenten Florentiner Sammlers zu erfreuen. Sie zu verbrennen war ein Sakrileg, und ich fürchte, davon ist mir übel geworden.«
Wie schon oft in der Vergangenheit, fragte sich Lorenzo auch in diesem Augenblick wieder, woher Rufios Bildung stammte. Der Schwarze behauptete stets, er hätte früher in den Büchern von Lorenzos Hauslehrern gelesen, doch Lorenzo hatte nie recht gewusst, ob es die Wahrheit war, zumal dabei im Dunkeln geblieben war, wer dem Sklaven überhaupt das Lesen beigebracht hatte.
»Du hast Recht, das hier ist Wahnsinn. Aber gemessen an Verbrennungen, die andernorts stattfinden, ist es nichts weiter als ein Ärgernis. In Spanien veranstaltet Torquemada hunderte von Autodafés, und auf diesen Scheiterhaufen sterben Menschen.«
Ein Mann hörte seine Worte und drehte sich zu ihm um. »Das sind doch nur lauter Juden, die sie da verbrennen.« Er spuckte verächtlich aus. »Wird Zeit, dass man hier zu Lande auch darauf kommt, was zu tun ist!«
»Ihr seid zweifellos auf dem besten Wege«, sagte Lorenzo kalt. Er wandte sich ab. Von plötzlicher Unruhe erfüllt, reckte er sich auf die Zehenspitzen und ließ seine Blicke über die von sprühenden Funken umrahmten Silhouetten der Menschen schweifen. Eine Frau weckte seine Aufmerksamkeit. Ihr Gesicht war nicht zu sehen, aber ihre Gestalt schien ihm auf eigentümliche Weise vertraut. Sie war von Kopf bis Fuß in einen dunklen Umhang gehüllt und strebte vom Feuer fort, an ihrer Seite ein dürrer Junge. Sie hatte ihre Hand auf seine Schulter gelegt und schob ihn vorwärts, als wollte sie ihn von diesem Unruheherd entfernen.
Rastlos starrte Lorenzo den beiden hinterher, dann achtete er nicht länger auf die Frau – vermutlich eine besorgte Mutter, die ihren fehlgeleiteten Jungen nach Hause holen wollte –, denn er hatte Sagredo entdeckt, der in derselben Richtung wie die beiden unterwegs war und sich durch einen Pulk von Menschen schob, der die Einmündung zur Via Larga versperrte.
Lorenzo setzte sich in Bewegung, blieb aber nach zwei Schritten wieder stehen. Sein Blick wurde auf eine andere Stelle gelenkt, wo die Menge sich wie von Zauberhand teilte und einem Reiter Platz machte. Es war ein gut aussehender junger Mann, der selbstbewusst und in tadelloser Haltung zu Pferde saß. Er trug die Farben der Medici und wurde von einer schwerbewaffneten Leibgarde flankiert.
Der Tumult auf dem Platz steigerte sich.
»Schaut, da ist er!«
»Er ist zurück!«
»Seht ihn euch an, den glücklosen Medici! So sieht ein Versager aus!«
»Man sollte ihn auf den Scheiterhaufen werfen, den Verräter!«
Im nächsten Moment verwandelte sich der Domplatz in einen Hexenkessel.
»Messèr Sagredo!«, stammelte Sanchia, als er vor sie hintrat und ihre Hand ergriff. »Ihr habt mich gefunden! Hat Annunziata Euch hergeschickt? Hat sie meinen Brief bekommen? Ich hätte nicht gedacht …« Aufgewühlt brach sie ab. Sie konnte nicht fassen, dass er hier war.
Seine Miene war ernst. »Gleich bricht hier die Hölle los, meine Kleine. Komm weg von hier, rasch!«
»Ich bin nicht allein.« Sie wandte sich zu dem Jungen um und sah ihn nur wenige Schritte entfernt am Rand des Scheiterhaufens stehen. Er starrte mit großen Augen in die Flammen, die Hände vor der Brust wie zum Gebet verschränkt. Als Sanchia zu ihm trat, merkte sie, dass er tatsächlich betete. Seine Lippen bewegten sich in beschwörendem Gemurmel, und als Sanchia ihn bei der Schulter fasste, blickte er verzagt auf. »Ich wünschte, sie würden nur einen kleinen Teil von all diesen kostbaren Sachen den armen Leuten geben. Es kommt mir so sinnlos vor, dass alles verbrannt wird! Seht nur, diese feinen Teppiche! Meine Mutter wäre so glücklich über einen Teppich, er braucht ja gar nicht groß zu sein!«
»Wir müssen weiter«, sagte sie, den Blick auf Sagredo gerichtet, der ungeduldig auf sie wartete. Sie zog den Jungen vom Feuer fort in Richtung Via Larga. Sagredo gab ihr ein Zeichen, sie möge sich beeilen, und als sie das von Aufschreien begleitete Hufgeklapper hörte, erkannte sie auch den Grund dafür. Hastig schob sie den Jungen vor sich her und folgte Sagredo durch das Gedränge, bis sie die Menschenmenge hinter sich gelassen hatten.
Er nahm ihren Arm und zog sie
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