Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
können. Gott im Himmel, betete sie. Hilf uns!
Es war nicht mehr weit, höchstens ein paar hundert Schritte noch. Sie konnte von hier aus schon den Palazzo Strozzi sehen.
Mit fliegendem Atem bog sie um die Ecke, doch in diesem Moment holte er sie ein. Seine harten Finger bohrten sich wie Klauen in ihre Schulter und rissen sie herum.
»Mir entkommst du nicht, du Hure Babylons!«
Sanchia kreischte vor Schreck auf, und der Junge fiel augenblicklich mit einem schrillen Angstgeheul ein.
Ambrosio geiferte ihr aus nächster Nähe ins Gesicht. Seine Zähne hatten die Farbe von gebleichten Knochen, als er sie anbleckte wie ein wildes Tier. Der Kropf trat pumpend hervor, während er heftig keuchend nach Luft rang. Er hatte immer noch dieselbe ungesunde, gelbfleckige Gesichtsfarbe, und auf seiner frisch geschabten Tonsur leuchten entzündete Furunkel zwischen den schlecht verheilten Schnitten des Rasiermessers. Seine krankhaft vorgewölbten Augen drohten ihm förmlich aus dem Gesicht herauszuspringen, und sein Blick war wie blasses, schmelzendes Eis.
All diese nebensächlichen Details nahm Sanchia wie durch Nebel wahr, während sie darauf wartete, dass die Hölle sich auftat und sie verschlang.
Ambrosio fuhr zusammen. Er ließ sie los und trat einen Schritt nach hinten, die Augen auf einen Punkt über ihrer Schulter gerichtet.
Sanchia wich langsam von ihm zurück, erst dann schaute sie sich hastig um. Girolamo kam auf sie zugelaufen, mit schwingenden Armen, die muskulösen Beine stampfend wie die Stößel eines gewaltigen Mörsers. Die Verschnürung seines Wamses war aufgeplatzt unter der Eile, mit der er losgerannt war, und sein Gesicht war trotz der Kälte von Schweiß bedeckt. In seinen Augen stand blanke Mordlust.
Ambrosio musste sofort begriffen haben, was ihm blühte, denn er nahm die Beine in die Hand und verschwand wie ein schwarz-weißes Wiesel um die nächste Ecke.
Girolamo rannte an Sanchia vorbei und folgte dem Dominikaner. Er hätte ihn zweifellos erwischt und ihn auf der Stelle erwürgt, wenn nicht im nächsten Augenblick eine Reihe weiß gewandeter Angeli aufgetaucht wären und ihm den Weg versperrten. »Eine Gabe, gütiger starker Herr, eine kleine Spende für die Ärmsten der Armen!«
Unentschlossen blieb Girolamo stehen, dann kehrte er achselzuckend zu Sanchia und dem Jungen zurück. Seine Brust hob und senkte sich von der Anstrengung, und sein Hemd war nassgeschwitzt. Verzweiflung und Abscheu standen auf seinem Gesicht.
Sanchia empfand dasselbe. Es war nicht zu Ende. Das Unheil war erneut über sie hereingebrochen.
Eleonora reagierte überraschend gefasst, sie behauptete, sie habe schon die ganze Zeit damit gerechnet.
»Meine Truhe ist seit Wochen gepackt«, sagte sie. Ihr Gesicht war bleich, aber entschlossen. »Ich bin bereit. Lieber bringe ich mein Kind im Morast auf der Landstraße zur Welt als im Gefängnis.«
Sanchia suchte Giulia in ihrer Kammer auf. »Der verrückte Mönch hat uns aufgespürt. Eleonora und ich müssen fort.«
»Wieso ist er hier? Wegen dir und Eleonora?«
»Nein, sicher nicht. Er ist hier, weil sie alle hier sind. Sie kommen aus dem ganzen Land, um den Lehren ihres Propheten zu lauschen. Es war einfach ein dummer Zufall. Es kann nicht lange dauern, bis er weiß, wo wir wohnen und bis er sein Gift auch hier in Florenz bis in den letzten Winkel verspritzt hat.« Sie schüttelte beklommen den Kopf. »Als wir damals herkamen, meinte ich wochenlang, ihn an jeder Ecke lauern zu sehen. Und dann, gerade als ich mich sicher fühlte, tauchte er auf!«
»Hier kann er euch nichts anhaben«, sagte Giulia benommen. Sie litt unter einem neuen Fieberschub und war kaum ansprechbar.
Es stellte sich rasch heraus, dass sie mit ihrer Einschätzung falsch lag. Am nächsten Nachmittag kam Rodolfo Strozzi auf seinem Pferd herangeprescht, das Gesicht rot vor Aufregung.
»Ich habe schlechte Neuigkeiten! Eine Abordnung der Dominikaner von San Marco hat bei der Signoria ein Gesuch zur Verhaftung zweier Hexen eingereicht. Ein Gesuch, das von Savonarola persönlich unterzeichnet ist. Sie haben Zeugenbeweise. Ein Mönch aus Venedig, der alles über Eure dortigen Untaten zu berichten weiß.« Rodolfo nickte beeindruckt. » Schauderhafte Untaten, wenn ich das hinzufügen darf. Und hier haben sie auch schon Zeugen aufgetan. Ein alter Mann, dem Monna Sanchia sich auf lustvolle Weise genähert hat.«
»Ich habe ihm die offenen Beine eingerieben«, sagte Sanchia verärgert. Es musste der Alte von
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