Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
Miene seinen Bauch ab. »Ist es so klein, dass es durch dieses winzige Loch passt?«
    »Es kommt nicht aus dem Nabel, sondern aus einer Öffnung zwischen den Beinen. Diese Öffnung weitet sich bei der Geburt, und wenn die Frau kräftig presst, kommt das Kind heraus.«
    Der Kleine lief puterrot an und versank in Schweigen. Das Thema war ihm offenbar für den Moment zu peinlich. Sanchia konnte sich denken, dass er die falsche Öffnung im Sinn hatte – mangels Vergleichsmöglichkeiten an seinem eigenen kleinen Körper lag das nahe –, aber ihr war nicht danach, das Gespräch zu vertiefen. Nach ihrem Besuch im Krankenzimmer konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen.
    Marco stellte ihr weitere Fragen, die sie mehr oder weniger mechanisch beantwortete. Ihr Geist war nicht bei der Sache.
    »Warum haben manche Mönche braune und manche schwarze Kutten an?«
    »Weil es verschiedene Orden gibt, deren Schutzheilige jeweils andere Heilige sind.«
    »Wer ist der Schutzheilige von den Schwarzweißen?«
    »Der heilige Dominikus. Eigentlich hieß er Domingo de Guzmàn und stammte aus Kastilien.«
    »Warum rasieren die Mönche Löcher in ihren Kopf?«
    »Du meinst, in ihre Haare. Das nennt man Tonsur, und es ist ein Ehrenzeichen des geistlichen Standes.«
    »Bekommt Mama auch eine Tonsur?«
    Sanchia schluckte. »Du hast sie gesehen?«
    »Nur kurz. Sie hat mich sofort rausgeschickt, damit ich mich nicht anstecke. Was bedeutet anstecken ?«
    Sie erklärte es ihm und gab sich Mühe, ihre Stimme gleichmäßig klingen zu lassen, doch sie konnte kaum ihre Panik unterdrücken. Er würde leiden, wenn seine Mutter vor seinen Augen verfiel oder sogar starb, und niemand würde es ihm ersparen können. Sie dachte daran, wie sie sich gefühlt hatte, als sie ihre Eltern verloren hatte, und eine Kälte drang in ihr Inneres, die nichts mit dem schneidenden Wind zu tun hatte. Eine beklemmende Gefühlsmischung aus Trauer und Mitleid hielt sie gefangen, und unwillkürlich fasste sie die Hand des Kindes fester und ging ein wenig schneller, als könnte sie den bösen Geistern auf diese Weise entfliehen.
    »Warum schaut der Schwarzweiße uns so an?«
    Der Kleine musste seine Frage wiederholen, um Sanchia aus ihrer Versunkenheit zu reißen.
    »Wen meinst du, Marco?«
    »Den Mönch da drüben.« Er zeigte mit dem Finger. »Er schaut uns so komisch an.«
    Sanchia blickte quer über die Piazza di Santa Maria Novella hinüber zu der mit herrlichen Marmorinkrustationen geschmückten Dominikanerkirche. Drüben vor dem Hauptportal stand eine Figur aus ihren schlimmsten Albträumen und starrte sie unverwandt an. Für die Dauer eines Herzschlages schrumpften Jahre, Monate und Wochen zu einem einzigen Augenblick zusammen. Ihre Vergangenheit hatte sie eingeholt.
    Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte los.
    »Warum laufen wir weg?«, schrie Marco, halb verblüfft, halb begeistert.
    Sie zerrte ihn an der Hand hinter sich her. »Es ist ein Spiel«, keuchte sie. »Wer schneller ist, gewinnt!«
    Marco jauchzte und beschleunigte seine Schritte, doch seine Beinchen waren im Vergleich zu den ihren kläglich kurz, sie kamen kaum voran.
    An der nächsten Ecke zeigte ihr ein Blick über die Schulter, dass Ambrosio ihr folgte. Er hatte sich in Bewegung gesetzt, zuerst langsam, dann rascher, und schließlich rannte er ebenfalls.
    »Ich habe dich erkannt, Tochter Satans«, schrie er mit seiner fisteligen Stimme. »Glaub nicht, dass du deiner gerechten Strafe entkommen kannst!«
    Ein Windstoß fuhr ihr unter die Kapuze und lockerte ihre Haube. Sanchia versuchte, sie mit der freien Hand festzuhalten, doch nach wenigen Schritten flatterte sie davon. Ihr Haar löste sich auf und wurde ihr vor die Augen geweht. Als sie es zur Seite strich, wurden die Locken vom Wind erfasst.
    Ambrosio ließ einen wütenden Schrei hören. »Ich werde dich fangen und dafür sorgen, dass du deine Sünden bereust, bevor du dem Feuer der Gerechtigkeit überantwortet wirst!«
    Marco stolperte, und um ein Haar hätte sie ihn losgelassen. Sie riss ihn hoch, zerrte ihn an der Hand hinter sich her und rannte weiter. Er stolperte erneut, und nach einigen weiteren Schritten nahm sie ihn kurzerhand hoch und trug ihn. Er war fast vier Jahre alt und gut genährt, und sie brach fast unter der Last zusammen, obwohl er unter anderen Umständen ein Federgewicht gewesen wäre.
    Hinter ihr kam das dumpfe Tappen von Ambrosios Schuhen immer näher, und fast glaubte sie, seinen Atem schon im Genick spüren zu

Weitere Kostenlose Bücher