Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
verärgert.
Marco. Natürlich konnte er nicht mit ihr kommen, er gehörte zu seiner Mutter. Der Gedanke, ihn vielleicht niemals mehr wiederzusehen, brachte Sanchias Entschluss ins Wanken, und sie überlegte ernsthaft, hierzubleiben und es darauf ankommen zu lassen. Der Junge war ihr so sehr ans Herz gewachsen, dass sie ihn wie einen eigenen Sohn zu lieben glaubte. Wie sollte sie ohne ihn sein können? Und wie er ohne sie, wenn Giulia im Begriff war, zu vergehen wie eine welke Blume?
Giulia schien ihre Gedanken zu lesen. »Schlag dir das sofort aus dem Kopf. Zwei Dinge solltest du wissen: Erstens, ich sterbe nicht. Und zweitens, er ist mein Kind. Noch lebe ich, und ich habe nicht vor, so schnell aufzugeben. Schon um seinetwillen.« Ihr Kinn schob sie vor, und Trotz zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Er ist ein Bastard und der Sohn einer Hure, aber er ist noch zu klein, um es zu merken. Er liebt mich über alles, und ich ihn noch mehr.« Sie bemerkte Sanchias offensichtliche Verzweiflung und seufzte. »Ich gebe dir hiermit ein Versprechen. Wenn ich das Gefühl habe, ich schaffe es nicht, oder wenn ich mich zu krank fühle, ihm eine gute Mutter zu sein – dann bringe ich ihn zu dir. Beruhigt dich das?«
Als Sanchia zögernd nickte, fügte Giulia hinzu: »Nicht, dass dieser unwahrscheinliche Fall je eintreten würde, also mach dir nur nicht zu viele Hoffnungen. Noch bin ich ganz die Alte! Natürlich muss ich mir neue Ziele überlegen. Als Kurtisane werde ich wohl abdanken. Aber was soll’s, dafür habe ich Geld. Ich werde mir einmal ansehen, was alle hier mit ihrem Geld machen, die Strozzis und Pazzis und Tornabuonis und wie sie alle heißen. Ich meine, außer, dass sie es ausgeben. Es muss ja von irgendwoher kommen. Irgendwie muss es sich vermehren, nicht wahr? Ich werde herausfinden, wie man es macht. Wie man aus Geld noch mehr Geld macht, ohne davon zu viel von sich preiszugeben. Ist das nicht eine gute Idee?«
Die Knötchen und Pusteln auf Giulias Wangen und ihrem Hals waren größtenteils aufgebrochen, und die Sekrete hatten die Haut mit feuchten, übel riechenden Schlieren überzogen. Ihr Gesicht war hochrot und erhitzt, sie glühte vor Fieber.
»Eine hervorragende Idee«, brachte Sanchia mühsam heraus.
»Na also. Dann ist ja alles in Ordnung.« Giulia wandte ruckartig den Kopf ab. »Pack endlich dein Zeug und verschwinde.«
Sanchia ging zur Tür.
»Warte«, rief Giulia. »Eines noch.« Sie holte mühsam Luft. »Komm her, damit ich nicht so schreien muss. Was ich dir erzählen will, braucht nicht jeder zu hören.«
Sanchia ging zurück zum Bett. Giulia griff nach einem Laken, um sich das Gesicht abzuwischen. Sanchia hinderte sie daran. »Nicht. Die Wundflüssigkeit darf nicht verteilt werden. Du bekommst davon nur noch mehr Pusteln.« Sie holte ein frisches Leinentuch aus der Kommode, feuchtete es in der Waschschüssel an und tupfte vorsichtig das Gesicht der Kranken ab.
Giulia schaute sie dabei unablässig an. »Ihr beide könnt zurück. Ich nicht. Der Weg nach Hause ist mir für alle Zeiten versperrt. Die Todesstrafe ist mir sicher, bei dem, was ich getan habe.«
»Du musst nicht darüber sprechen.«
»Das weiß ich«, sagte Giulia lakonisch. »Wenn ich es nicht wollte, täte ich es nicht.« Sie wehrte Sanchias Hand mit dem Tuch ab. »Setz dich und hör mir zu.«
Eleonora weigerte sich schlichtweg, nach Venedig zurückzukehren.
»Glaub mir, ich sehne mich nach zu Hause, so sehr, dass ich es kaum noch aushalte! Aber wenn ich dort bin, sehe ich Pasquale nie wieder! Er ist verbannt und kann nicht wieder zurück! Wie soll er mich jemals finden, wenn ich in einer Stadt lebe, die er nicht betreten darf?«
Sanchia fiel es nicht schwer, dieses Argument zu entkräften, sie hatte Eleonoras Einwände vorausgesehen und sich schon vorher ihre Antworten zurechtgelegt. »Er findet dich überall, glaub es mir. Du hättest zudem die Gelegenheit, unterwegs Botschaften für ihn zu hinterlassen, überall dort, wo wir rasten.«
»Woher sollen die Leute wissen, wem sie die Botschaften übergeben sollen?«
Sanchia hob nur die Brauen, und Eleonora verstand. »Natürlich, niemand sonst sieht so aus wie er.« Sie dachte nach. »Wenn das mit dem Geld stimmt … ich meine, dass wir reich sind, dann könnten wir es uns auch leisten, in Venedig darauf zu warten, dass er mich zu sich holen lässt. Mein Kind müsste nicht hungern und kann in Frieden aufwachsen.«
Damit war dieses Thema für sie abgehandelt, jetzt galt es
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