Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
herein und setzt Euch auf eine kleine Stärkung nieder!«
Sie machte sich bereit, jeden Widerspruch im Keim zu ersticken, doch Sarpi hatte offensichtlich nicht vor, die Einladung auszuschlagen.
Er ließ sich bereitwillig an den großen Esstisch in der Küche führen und schaute sich interessiert um, während Eleonora zwischen Herd und Anrichte hin und her flitzte und alle Zutaten für die kleine Stärkung zusammensuchte, die sich in Windeseile zu einem opulenten Mahl entwickelte. Sie stand am Kochkamin und rührte und hackte, knetete und mischte und schürte nebenher das Feuer mit einer Geschwindigkeit, dass das Auge ihr kaum zu folgen vermochte.
»Ich sollte den Kleinen anbinden, damit er nicht weglaufen kann.« Sie legte Kohle nach und stellte die Pfanne auf den Herdrost. »Alle machen das. Aber Sanchia meinte, er könnte sich an dem Strick strangulieren.«
»In der Tat«, sagte Sarpi. Er streckte die Hand aus und streichelte Herkules, der schnüffelnd seine Nase gegen seine Beinkleider drückte. »Soweit es mich betrifft, kann ich ihr nur beipflichten. Ich selbst habe schon einen tragischen Fall dieser Art erlebt. Das Kind war dunkelblau angelaufen und nicht mehr zu retten.«
»Was für ein erfahrener Medicus Ihr seid!« Eleonora wandte sich mit schwärmerischem Augenaufschlag zu ihm um, während ihre Hände am Herd ein Eigenleben zu führen schienen.
Sanchia bemerkte, dass Eleonoras Bewunderung den jungen Arzt keineswegs kaltließ. Mit ihrem üppig gerundeten Körper, dem vollen, glänzenden Haar und den rosig überhauchten Wangen war ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit sicher. Er ließ Eleonora nicht aus den Augen.
Sanchia versuchte, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, doch jeder medizinische Ansatz mündete unweigerlich nach wenigen Sätzen in die Frage, wie viel von welchem Gewürz zu einem bestimmten Gericht gehörte und ob Schwein in der Kruste über dem Feuer gegart besser schmeckte als ein Bratenstück aus der Pfanne. Eleonora riss das Gespräch so nachhaltig an sich, dass jede Variation von vornherein zwecklos war. Sarpi schien es ganz recht zu sein. Behaglich zurückgelehnt saß er da und sah Eleonora beim Kochen zu, während der Kleine versunken zu seinen Füßen mit Holzklötzchen spielte.
Einmal schaute Agostino zu dem großen Fremden hoch und grinste ihn mit seinen zwei Zähnchen an. »Papa?«
Eleonora fuhr zusammen, das Gesicht blutübergossen. »Das sagt er im Augenblick zu jedem Mann. Bitte verzeiht!«
»Ach wo. Er ist doch so ein winziger Kerl, so niedlich und reizend, woher soll er wissen, was falsch und richtig ist.«
»Ihr findet ihn niedlich?«
»Er ist entzückend. Ein bildschönes, aufgewecktes Kind. Sieht Euch ähnlich wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Habt Ihr auch Kinder?«
»Leider nicht. Ich bin noch ledig.«
Nach dieser wichtigen Information atmete Eleonora tief durch. »Er … Er hat natürlich auch einen Vater, aber der … ist fortgezogen.« Sie holte erneut Luft, diesmal noch tiefer, und dann rückte sie mit dem heraus, was sie als ihre größte persönliche Schmach empfand. »Mein Sohn ist … Tino ist ein Bastard. Aber glaubt mir, es wäre anders gekommen, wenn ich Gelegenheit gehabt hätte, seinen Vater zu ehelichen. Es war eine unverzeihliche Sünde, vor der Ehe seinem Drängen nachzugeben, das weiß ich, aber manchmal liegt es auch an widrigen Umständen, dass der Ehestand nicht erreicht wird!« Und dann brach es in einem Schwall aus ihr heraus: ihre Abschiebung ins Kloster, ihr Leben als Nonne, ihre hartherzig vom Klerus verhinderte Verbindung mit dem Kindsvater, ihr leidvolles Dasein als Mutter eines unehelichen Kindes. Gewisse Abschnitte ließ sie allerdings unerwähnt, vor allem die blutige Nacht in der Klosterküche und die Umstände ihrer Flucht aus Venedig. Auch der vorübergehende Aufenthalt in Florenz wurde nur gestreift und verwandelte sich im Rückblick in eine Maßnahme, die nötig war, um der venezianischen Bigotterie zu entfliehen.
»Die Leute verachten eine Frau wie mich«, schloss sie leise.
Sanchia hatte ihr mit offenem Mund zugehört. Mit keinem Anzeichen ließ Eleonora erkennen, dass sie einen wichtigen Teil in ihrer Erzählung ausgelassen hatte. Etwa, mit welcher Liebe sie an Pasquale gehangen hatte. Oder dass sie diejenige gewesen war, die ihn verführt hatte. Von den ganzen grässlichen Hintergründen ihrer damaligen Verhaftung und Flucht ganz zu schweigen.
Nicht, dass es Sarpi etwas anging. Aber genauso wenig ging ihn alles
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