Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Kuchenkrümeln, und Sanchia musste ihr mehrmals zwischen die Schulterblätter klopfen.
»Um Himmels willen, wen denn?«, brachte die Äbtissin schließlich hustend heraus.
»Einen Arzt namens Fausto Sarpi. Intelligent, strebsam, ehrlich und humorvoll.«
Annunziata zog die Brauen hoch. »Klingt, als würdest du ihn selbst passabel finden. Womit hat er dich für sich eingenommen? Hat er als Einziger unter tausenden nicht deine Schönheit gepriesen, sondern deine Kenntnisse in Anatomie?«
Sanchia merkte, wie ihre Wangen sich röteten. Eilig fuhr sie mit ihrer Beschreibung fort. »Er praktiziert seit zwei Jahren, hat in Paris und Padua studiert. Ein Römer aus guten Verhältnissen. Sein Vater ist Notar, und er hat als ältester Sohn ein kleines Erbe zu erwarten.«
»Das kann nicht annähernd so viel sein wie das, was Eleonora eines Tages zufallen wird!«
»Dazu müsste erst der Alte sterben, und der hat ihr neulich erst zu verstehen gegeben, dass er die hundert Jahre auf jeden Fall schaffen will. Sie war kürzlich bei ihm, weil sie dachte, der Anblick seines Urenkels würde ihn weich stimmen, doch er weigert sich nach wie vor, sie aufzunehmen. Lieber kauft er sich noch eine neue Sklavin, sagt er. Was bleibt ihr also übrig, als sich zu vermählen?«
»Sie könnte weiter mit dir zusammenleben«, sagte Annunziata mit einem Unterton von Grimm. »In dem Haus, das du nicht nur für dich gekauft hast, sondern auch für sie und den Kleinen. Was wäre so falsch daran?«
Sanchia schüttelte den Kopf. »Es wäre nicht dasselbe wie in einer Ehe. Sie würde zu einer alten Jungfer werden, genau wie ich. Am Ende wären wir zwei verschrobene Weiber, die über nichts anderes reden könnten als über das Gebären und das Kochen. Zu alt zum Leben und zu jung zum Sterben.«
»Zu alt? Darüber fachsimpelst du jetzt schon? Du bist einundzwanzig und sie nicht mal drei Jahre älter! Ein bisschen früh für solche Gedanken, oder? Einen passenden Mann kann man in jedem Alter finden. Schau mich an. Hier siehst du eine, die es wissen muss.«
Das brachte Sanchia zu einem Punkt, auf den sie schon die ganze Zeit zu sprechen kommen wollte. Sie stand auf und ging zum offenen Fenster, das zum Kanal hinauswies. Unten auf dem Wasser zischten Libellen im Zickzack hin und her wie kleine Geschosse. Ihr Summen war bis hier oben zu hören. Weiter vorn stritt ein Barcaruolo mit einer Frau, die auf der Fondamenta Fische verkaufte. Er warf ihr vor, dass ihre Ware verfault sei, worauf sie ihn wütend mit schuppigen Abfällen bewarf.
Unvermittelt wandte Sanchia sich zu Annunziata um und schaute ihr in die Augen. »Habt Ihr in letzter Zeit von Messèr Sagredo gehört?«
Annunziata blickte sofort zur Seite. »Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Ich glaube, ich bin allmählich zu alt für ihn geworden.«
»Zu alt?«, spottete Sanchia, so wie vorhin Annunziata. »Das sagt mir eine Frau wie Ihr, die mit dem Messer besser umgehen kann als mit dem Stab der Äbtissin?«
Annunziata ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Vorhin hatte Sanchia sie mit ihrer Frage unvorbereitet erwischt, doch das würde ihr nicht noch einmal passieren. Sanchia las es in ihren Augen. Eine andere Antwort als diese würde sie nicht bekommen.
Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Annunziata ihr nicht die Wahrheit sagte und Sagredo sehr wohl weiterhin traf, doch der Grund für diese Lüge war nicht zu erkennen. Als Sanchia das letzte Mal wegen des Hauskaufs hier in San Lorenzo gewesen war, waren die Antworten ähnlich ausweichend gewesen. Ja, Sagredo sei wegen einer Angelegenheit des Klosters in Florenz gewesen, und nein, was er über die Vorkommnisse nach ihrer Befreiung berichtet habe, sei nicht mehr als das, was sie selbst alle schon wüssten. Und abermals nein, sie habe weder von der Familie der Caloprini gehört noch wisse sie, was aus Enrico Grimani geworden war.
Letzteres hatte Sanchia inzwischen selbst herausgefunden, wenn auch eher durch einen Zufall. Der Grimani-Erbe war nun über dreißig und damit alt genug, alle öffentlichen Ämter zu bekleiden, mit denen in regelmäßigem Turnus die einflussreichen und begüterten Patrizier bedacht wurden. Dass er im vorletzten Jahr einen Widersacher niedergestochen hatte, schien ihm nicht geschadet zu haben. Er hatte sich zu einem der drei Officiali ai cattaveri wählen lassen, die in San Marco ihren Sitz hatten und dafür zuständig waren, besitzfreie Güter als Staatseigentum einzuziehen, etwa gefundene
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