Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
kannst nur du sagen, meine Taube!« Er stellte sich hinter sie, legte seine Hände auf ihre Schultern und drehte sie so zum Spiegel, dass sie geradewegs hineinblicken musste. »Und jetzt schau hin«, befahl er ihr. »Aber richtig.«
Zuerst sah sie nur sein Gesicht, doch auf seinen auffordernden Blick hin musterte sie aufmerksam ihr eigenes Spiegelbild.
Das Kleid war von einem seltenen, reinen Blau, das exakt den Farbton ihrer Augen widerspiegelte. Es war aus glänzender Seide gearbeitet und wie Lorenzos Wams mit zahllosen Goldfäden bestickt, die so fein waren, dass der Stoff wie von Feenstaub überpudert wirkte. Winzige Perlen bedeckten wie glitzernde Eisstückchen die kleinen Puffärmel und den Saum des Ausschnitts – den sie unwillkürlich mit der Hand bedeckte, weil sie eben zum ersten Mal gewahr wurde, wie tief er war. Lorenzo zog ihre Finger weg. »Du musst nichts von deiner Schönheit verstecken.«
Sie folgte seinem Blick auf ihr Gesicht, das sich rosig gegen die helle, mit einem zarten Perlennetz gebändigte Haarfülle abhob. Ein paar Löckchen waren der Frisur entwichen und kringelten sich in der Stirn; Sanchia strich sie ungeduldig beiseite. Ihre Augen wirkten ungewöhnlich groß, wobei Sanchia nicht sicher war, ob es an der Aufregung wegen der bevorstehenden Gesellschaft lag oder an dem Kleid, das ihre ganze Person strahlender wirken ließ.
Sanchia starrte sich im Spiegel an – und schnitt eine Grimasse. »Würdest du mich auch lieben, wenn ich hässlich wäre?«
»Selbstverständlich«, sagte Lorenzo im Brustton der Überzeugung.
Sie zweifelte daran, obwohl sie umgekehrt für sich selbst sicher war, ihn für immer zu lieben, auch wenn er entstellt wäre.
Doch stimmte das wirklich? War diese Gewissheit so unverrückbar, dass sie zeit ihres Lebens allen Anfechtungen standhalten würde?
Schönheit war etwas Sonderbares, ebenso nutzlos wie erschreckend, erweckte sie doch Begehrlichkeiten und lenkte Blicke auf sich, ohne letztlich die verheißene Erfüllung aus sich selbst heraus gewähren zu können.
Vielleicht ist die Schönheit vergleichbar mit der Macht, überlegte Sanchia. Auch nach ihr strebte alle Welt, und doch machte sie nicht wirklich glücklich.
Aber warum leben wir denn dann?, fragte sie sich als Nächstes. War es nicht das Ziel aller jungen, gesunden Menschen, beides zu besitzen, Macht sowie Schönheit, sei es in Form von Geld, Gewalt über andere oder, bezogen auf die Schönheit, als edle Dinge oder makellose Gefährten, die man lieben konnte? Haderte nicht ein jeder mit all dem, was ihn von diesem Ideal entfernte, ob nun in Form von Krankheit oder Armut oder Alleinsein?
»Bist du der Ansicht, ich sollte öfter schöne Kleider tragen?«, fragte Sanchia ihren Mann angespannt.
»Du gefällst mir in allen Sachen, die du trägst, und am schönsten finde ich dich sowieso immer noch nackt.« Lorenzo beugte sich vor und drückte einen Kuss auf ihren Hals. »Was geht in deinem hübschen Köpfchen vor?«
»Willst du wirklich wissen, was ich denke?«
»Natürlich.«
Wenn ich erst anfange, es dir auseinanderzusetzen, kommen wir nicht mehr rechtzeitig zu der Gesellschaft, dachte Sanchia.
Ihre Augen im Spiegel funkelten mutwillig. »Nun, mir ging gerade durch den Sinn, dass du am Ende vielleicht auch noch von mir erwartest, dass ich mir wie die feinen römischen Damen die Beine und die Achselhöhlen rasiere.«
»Tun die das denn?«, fragte er grinsend.
Sie versetzte ihm einen spielerischen Stoß. »Das frage ich dich.«
»Falls ja, so schert es mich nicht.« Er hielt ihr galant den Arm hin, damit sie sich einhängen konnte. »Madonna, wenn ich nun bitten darf …«
Hätte sie vorher gewusst, wem sie auf dieser Abendgesellschaft begegnen würde, hätte sie sich ganz sicher geweigert, auch nur einen Schritt vor die Tür zu tun und sich stattdessen mit einem Anfall weiblicher Empfindsamkeit ins Bett gelegt.
Dabei begann alles ausgesprochen vielversprechend. Der Kardinal bewohnte einen prachtvollen Palast, der den Reichtum der Sforzas auf angemessene Weise zum Ausdruck brachte. Ursprünglich hatte der Papst ihn für sich selbst gebaut und nach seinem Amtsantritt dem Kardinal geschenkt. Mehr als doppelt so groß wie die Ca’ Caloprini in Venedig, war er so übertrieben prunkvoll eingerichtet, dass man nicht wusste, wohin man zuerst schauen sollte. Eine breite Treppenflucht führte in das repräsentative Obergeschoss mit seinen Audienz- und Empfangsräumen. Musikzimmer, Bibliothek,
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