Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Speisesaal – Sanchia fühlte sich von Schwindel ergriffen. Es gab sogar einen Saal eigens für Antiken, die auf Marmorpostamenten an den Wänden aufgereiht standen. Die Türen zu den meisten Räumen waren offen, damit den Besuchern nichts von der ganzen Pracht verborgen blieb. Paneele aus Edelhölzern, dicke Perserteppiche, die jeden Schritt schluckten, goldgeprägte Vorhänge, Spiegel in Jaspisrahmen, Gemälde in leuchtenden Temperafarben, Wandteppiche mit Jagdszenen und reich geschnitzte Nussbaummöbel bestimmten das Bild in den einzelnen Sälen.
In dem gewaltigen Speisesaal war bereits für mehrere Dutzend Personen eine lange, damastbespannte Tafel gedeckt, von der im Kerzenlicht Silber und Kristall herüberschimmerten. Sanchia schloss geblendet die Augen und umklammerte die Hand ihres Mannes, der von diesem verschwenderischen Überfluss nicht sonderlich beeindruckt schien.
»Hoffentlich ist das Essen nur halb so fürstlich wie die Einrichtung«, wisperte sie ihm zu. Immerhin war ihr nun klar, warum die Mächtigen dieser Welt alle so darauf versessen waren, unter den Kardinalshut zu kommen. Offenbar war diese geistliche Würde eine Garantie zum Reichwerden und Reichbleiben.
Von den zahlreichen Gästen nahm sie anfangs außer der kostbaren Kleidung und dem schweren Parfüm nicht viel wahr. Reich gefältelter Samt, wahre Wasserfälle aus Seide, funkelnde Diademe, handbreite Geschmeide, Schwaden von Moschus – das waren die ersten Eindrücke von der Begrüßungs- und Vorstellungsrunde, zu der Lorenzo sie von Raum zu Raum zog.
Ihr Gastgeber, ein rundlicher Mann in mittleren Jahren, Vizekanzler und Kardinal, empfing sie in vollem Ornat. Er trug die rote Robe, als wäre er damit geboren. Neben ihm stand ein hochnäsig aussehender junger Mann, ebenso prachtvoll gekleidet wie alle anderen Gäste, der ihr als der Kämmerer des Kardinals vorgestellt wurde.
Den Namen des jungen Mannes vergaß sie, kaum dass sie ihn gehört hatte, aber allein der Umstand, dass ein Kämmerer gekleidet war wie der reichste Märchenprinz, verschlug ihr die Sprache.
Sanchia bedankte sich höflich für die Einladung, küsste den Ring des Kardinals und zog sich rückwärtsgehend drei Schritte zurück, so wie sie es bei Lorenzo beobachtet hatte.
Diener bewegten sich unaufdringlich in der Menge und boten Getränke an. Sanchia nahm einen Pokal mit Wein und roch daran.
»Ein guter Tropfen, ohne Reue zu genießen«, sagte jemand hinter ihr – mit einer Stimme, die sie kannte.
Sie fuhr herum und verschüttete dabei etwas von dem Wein. Ihr Herz raste zum Zerspringen. »Was macht Ihr denn hier?«
»Feiern«, sagte Giustiniano lakonisch, während er sich höflich vor ihr verneigte. Der Zwerg wirkte in seiner engen, grasgrünen Kleidung wie ein missgestalteter Frosch. Die roten Haare waren sauber glatt gekämmt, was seinen übergroßen Kopf auf unvorteilhafte Weise betonte. Ein aufwärtsgebogenes Spitzbärtchen, das er bei ihrem letzten Treffen noch nicht getragen hatte, zierte sein Kinn, doch er sah damit eher lächerlich als männlich aus.
Sanchia schaute sich nervös um. Lorenzo war bei einem der Gäste stehen geblieben und plauderte angeregt. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, aber es konnte nicht lange dauern, bis er merkte, dass ein gemeinsamer Bekannter neben ihr stand.
»Wie geht es dem Jungen?«, fragte Giustiniano leise. »Ich muss gestehen, ich vermisse ihn zuweilen.«
»Ich weiß leider nicht, wie es ihm geht, und ich vermisse ihn ebenfalls.« Sie hielt erschrocken inne. Lorenzo machte Anstalten, sich zu ihr umzudrehen, doch dann trat jemand von der Seite auf ihn zu und nahm erneut seine Aufmerksamkeit gefangen. Ein kurzer Aufschub.
»Und Ihr? Geht es Euch gut?«, fragte sie den Zwerg angestrengt.
»Sehr gut, bis auf den Umstand, dass er mich zu allen Festen in den scheußlichen Aufzug steckt, den Ihr hier an mir seht.« Er lachte ohne sonderliche Heiterkeit. »Ach ja, und dass er mich mit einem albernen kleinen Stöckchen schlägt, wenn meine Späße ihm nicht behagen.«
»Wer?« Sie verschluckte sich an der Frage, denn im nächsten Augenblick wurde sie ihr bereits beantwortet. Giovanni de’ Medici kam herangerauscht, beleibt wie eh und je und wie der Gastgeber im Kardinalsumhang, den roten Hut keck auf ein Ohr geschoben.
»Madonna, wie überaus angenehm, Euch hier zu treffen! Die Welt ist doch klein!« Launig streckte er Sanchia seinen Ring entgegen, doch sie war viel zu entgeistert über sein unvermutetes Auftauchen,
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