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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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paar Schritte hinter Tsing inmitten einer Trümmerwüste ins Freie krabbelte, sah sie überall aufgescheuchte Gardisten durch die umhertreibenden Wolken von Pulverdampf rennen. Hier und da irrten auch Menschen vorbei, die vermutlich vorhin noch in den Verliesen gesessen hatten, doch Lorenzo war nicht unter ihnen.
    »Lorenzo?«, schrie sie aus voller Kehle. »Lorenzo! Wo bist du?«
    »Hier bin ich«, brüllte jemand zurück. Doch es war nicht seine Stimme, folglich musste es ein Namensvetter sein, mit dem ihr nicht gedient war. Sie stieg über einen gewaltigen Stein und merkte dann, dass es die obere Hälfte des Marmorengels war. Das von Scharten und Löchern verstümmelte Gesicht starrte wie in blinder Anklage zu ihr auf. Unter dem Engel lag ein Toter, ebenso übel zugerichtet wie das steinerne Standbild, das ihn erschlagen hatte.
    Um sie herum herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander, das Augen, Ohren und Nase gleichermaßen betäubte. Die laut gebellten Kommandos der Offiziere und das Wimmern und Schreien von Verletzten steigerten die Konfusion noch, ebenso wie das anhaltende Gewitter, das sich mit knisternden Blitzen und ohrenbetäubendem Donner über ihren Köpfen entlud. Es schüttete wie aus Kübeln, und der Pulvergestank verlor sich mit jedem weiteren Atemzug in der Frische des herabströmenden Regens.
    Tsing fasste sie bei der Hand. »Kommen.«
    Bei dem Chaos, das überall herrschte, war es nicht weiter schwierig, unbemerkt zu verschwinden. Niemand interessierte sich für sie, als sie über den von Trümmern übersäten Innenplatz zum weit offenen Haupttor der Burg liefen und von dort auf die Brücke. Wohin man schaute, bot sich ein Bild der Zerstörung, überall lagen Gesteinsbrocken und mit Mörtelstaub bedeckte Balken, und als sie zurückschauten, war zu erkennen, dass in der ringförmigen Mauer der Zitadelle Löcher klafften und der obere Teil ganz fehlte, fast so, als hätte ein vorbeigehender Riese ein Stück davon abgebissen.
    Tsing deutete auf die Brücke. »Ercole!«
    Sanchia blinzelte Rauch und Regenwasser aus ihren Augen und sah den hünenhaften Sienesen auf sich zurennen.
    »Madonna!«, rief er ihr entgegen. »Dem Himmel sei Dank, Ihr seid wohlauf!«
    Schnaufend kam er vor ihr zum Stehen, reichlich Regenwasser und Schweiß versprühend. »Ich habe ihn eben gefunden.«
    Sanchia holte Luft und presste die Fäuste gegen ihr jagendes Herz.
    »Kommt mit, es ist nicht weit.«
    Verdattert starrte sie auf seinen breiten Rücken, als er sich umwandte und losrannte – weg von der Engelsburg. Nach ein paar Schritten merkte er, dass sie ihm nur zögernd folgte.
    Fragend drehte er sich um. »Kommt Ihr nicht?«
    »Aber … ist er nicht hier irgendwo bei der Burg?«
    Er schüttelte den Kopf. »Folgt mir.«
    Während Ercole keuchend neben ihr hertrabte, berichtete er, dass die Burg vom Blitz getroffen worden war. »Er muss direkt in die Pulverkammer gefahren sein. Es machte Wammm !« Er warf beide Arme nach oben, um die Sprengkraft zu demonstrieren.
    »Aber wie konntest du meinen Mann so schnell in Sicherheit bringen?«, japste sie.
    »Er war doch gar nicht dort«, stieß Ercole im Rhythmus seiner Schritte hervor. »Ich habe ihn in einem Haus in der Stadt gefunden und kam gerade zurück, um Euch Bescheid zu geben, als ich von weitem die Burg in die Luft fliegen sah. Und dann kamt Ihr aus all dem Rauch und Gestank zusammen mit dem kleinen gelben Teufel direkt auf mich zugelaufen.«
    Tsing war schräg hinter ihr, und als sie sich zu ihm umwandte, sah sie ihn konsterniert die Stirn runzeln. »Herr nicht in Gefängnis?«
    »Nein«, sagte sie grimmig. »Anscheinend wurde mir absichtlich eine falsche Information übermittelt. Wir sind ganz umsonst durch diesen grässlichen Gang gelaufen.«
    Er schaute verblüfft drein, dann fing er plötzlich an zu kichern. »Götter sich große Spaß mit uns gemacht«, gluckste er.
    Sanchia fand den völlig überflüssigen Umweg durch den geheimen Gang und die explodierende Burg weit weniger lustig als ihr kleiner Begleiter, doch die Freude über Ercoles Neuigkeit ließ sie großmütig darüber hinwegsehen.
    »Warum ist mein Mann nicht gleich mit dir gekommen?«
    »Er kann nicht aufstehen.« Ercoles Stimme war sorgenschwer. »Es geht ihm sehr schlecht. Ich fürchte, er ist im Vollrausch.«
    Lorenzo versuchte sich aufzusetzen, doch die Schläge mit dem unsichtbaren Hammer ließen ihn gleich darauf wieder zurücksinken. Ihm war sterbenselend, und sein Kopf fühlte sich an, als

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