Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Racheengel hereingestürzt kam und sich mit wehenden Röcken einmal um ihre Achse drehte, bevor sie stehen blieb.
»Nein«, sagte Sanchia, den Blick auf die Malerei geheftet. »Das glaube ich nicht.«
»Es ist nicht das, wonach es aussieht«, flüsterte Lorenzo. »Sie und ich … ich habe nicht mit ihr …«
»Ich bin sofort aufgestanden und habe mich angekleidet, als Euer Leibwächter herkam«, assistierte Marietta.
»Du gehst in ein Kurtisanenhaus , während ich mich vor Alexander in Todesangst winde, weil ich glauben muss, dass du im Gefängnis bist!«
»Ach, so hat er es gemacht. Ich nehme an, du hast ihm alles erzählt, und er hat dir dafür versprochen, mich freizulassen. Schlauer alter Bursche.«
Sie kam näher und beugte sich argwöhnisch über ihn. Durch seine Augenschlitze konnte er erkennen, wie mitgenommen sie aussah. Ihr Gewand war völlig verdreckt und verknittert und obendrein pitschnass, fast so, als wäre sie damit durch den Tiber geschwommen. Wasser triefte aus ihrer fleckigen Haube und lief ihr übers Gesicht, doch plötzlich war er sehr sicher, dass die Nässe auf ihren Wangen nicht nur vom Regen herrührte.
»Sanchia …«
Ihre Lippen zitterten, und plötzlich zog sie die Nase hoch. »Ach, Lorenzo! Wie konntest du mir das antun! Es war alles so … furchtbar!«
»Er war zu betrunken, um es mit mir zu treiben«, warf Marietta mitfühlend ein. »Ich hätte schon gern, weil er ein wirklich feiner Herr ist. Aber er war wie tot.«
»Das stimmt«, pflichtete Lorenzo ihr bei.
Sanchia runzelte die Stirn, aber dann sank sie neben dem Bett auf die Knie, während ihre Hände nach den seinen tasteten. »Lorenzo, ich bin froh, dass ich dich wiedergefunden habe. Wenn du nicht … Alles andere kann ich dir verzeihen.«
»Es tut mir leid«, murmelte er. »Ich habe nicht gehurt, und auch nicht getrunken. Nur einen winzigen Becher.«
Sie zuckte zusammen. Auf die Fersen zurückgelehnt, starrte sie ihm prüfend ins Gesicht. Sie zog ihm ein Augenlid hoch und betrachtete die Pupille. Als er schmerzvoll aufstöhnte, ließ sie ihn los und legte die Hand auf seine Stirn. Auch das tat so weh, dass er am liebsten gewimmert hätte, wenn es ihm nicht so kindisch vorgekommen wäre.
»Du bist vergiftet worden«, rief sie entsetzt aus.
»Das hat er auch vorhin behauptet«, mischte Marietta sich ein.
»Bringt mir heißes Wasser«, fuhr Sanchia sie an. Sie kramte in ihrem durchweichten Beutel. »Ich hatte doch noch eine Prise Brechwurz …«
Lorenzo ahnte, was ihm blühte. Er erinnerte sich noch ausgezeichnet an jenen Tag vor etlichen Jahren, als er ungefähr drei Fässer voll von ihrem Kräutersud hatte trinken müssen, während es ihm die Eingeweide von innen nach außen gestülpt und das Bett sich unter ihm in eine schwimmende Kloake verwandelt hatte. »Bitte, muss das sein? Können wir es nicht einfach von ganz allein besser werden lassen?«
»Willst du sterben?«, fauchte sie ihn an.
»Es war nur ein Schlafpulver.«
»Woher willst du das wissen? Wem traust du mehr, den Borgia oder deiner Frau?«
»Den Borgia kann man auf keinen Fall trauen«, erklärte Marietta überzeugt. »Es heißt, dass sie alle miteinander nichts weiter sind als eine Bande von Mördern und Giftmischern.«
»Aber …«
Doch Marietta eilte bereits summend davon, um das Gewünschte herbeizuschaffen, und Lorenzo ergab sich in das Unvermeidliche.
Später am Tag, als alle Gemüter und seine Gedärme sich wieder beruhigt hatten, schaffte er es sogar, zum Konsistorium zu erscheinen. Der Papst kam geringfügig zu spät, es hieß, er habe seine Tochter in dem Kloster besucht, in das sie sich zurückgezogen hatte.
Mit Ausnahme Ascanios waren sämtliche Kardinäle anwesend, ebenso alle Gesandten der italienischen und ausländischen Staaten.
Im Kreise der um ihn versammelten Mächte Europas hielt der Papst eine denkwürdige Rede, in der er seiner Trauer über den Tod seines Sohnes offen Ausdruck verlieh. Er beschwor in leidenschaftlicher Weise den Geist der Kirche und kündigte grundlegende Reformen an, eine Abschaffung des Nepotismus und die Vergabe von Benefizien nur noch nach Verdiensten. Die Kleriker sollten ein frommes Leben führen, der Verkauf von Pfründen untersagt werden.
Er schloss das Konsistorium mit der unmissverständlichen Erklärung, dass niemand der bisher genannten Verdächtigen für den Mord an seinem Sohn infrage kam.
Als Lorenzo in der Reihe der Kondolenten bis nach vorn aufgerückt war, sprach er dem Papst
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