Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
der Seite stach Tageslicht in seine Augäpfel, und er legte hastig die Hand darüber, um sie vor ernsthaften Schäden zu bewahren. Beim nächsten Mal ging er es langsamer an, er wandte zuerst den Kopf zur Seite und schirmte die Augen mit der Hand ab, bevor er es wagte, sie zu öffnen.
Die Frau saß in einem Lehnstuhl an der Wand und drehte ein Spinnrad, eine Tätigkeit, die in merkwürdigem Gegensatz zu ihrer Erscheinung stand. Ihr Haar war zu Lockengebirgen aufgetürmt, und ihre wogenden Körpermassen hatte sie in leuchtend bunte Seide gehüllt. Trotz ihrer feisten Gestalt und der dicken Schminke war sie hübsch und konnte kaum älter als zwanzig sein. Lorenzo war ziemlich sicher, sie gestern Abend in einem der Fenster gesehen zu haben. Ihre Kammer war im Stil eines indischen Fürstenpalastes eingerichtet, oder besser: so, wie das Mädchen sich einen indischen Fürstenpalast vorstellen mochte, mit Troddeln an den Wänden, bemalten Seidenschirmen und einem geschnitzten Holzdrachen. Ein großes Bild zeigte in naiver Ausführung einen Maharadscha, der mit seiner überdimensioniert dargestellten Manneskraft gleich drei Konkubinen beglückte, während im Hintergrund ein paar missglückte Elefanten zuschauten.
Die Luft im Zimmer war dumpf und feucht. Draußen rauschte der Regen an die Läden, und vereinzelt war leises Donnergrollen zu hören.
Lorenzo tastete nach seiner Börse. Sie war an Ort und Stelle, und soweit er es beurteilen konnte, war sie genauso voll wie am Abend vorher. Auch sein Messer mit dem wertvollen Elfenbeingriff steckte noch in der Scheide. Man hatte ihn zwar betäubt, aber nicht ausgeraubt.
»Was hat die rothaarige Frau zu Euch gesagt, als sie mich herbrachte?«
»Sie gab mir Geld, damit ich persönlich auf Euch aufpasse, bis es Euch besser geht. Sie sagte, dass ihr einen über den Durst getrunken habt und im Laufe des Vormittags wieder auf die Beine kommen würdet.« Sie lachte gutmütig.
»Gehört sie zu diesem Haus?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Hab sie noch nie vorher gesehen.«
Jemand hatte also Wert darauf gelegt, dass er die Nacht über außer Gefecht war. Er musste nicht lange nachdenken, wer dafür infrage kam. In der Kunst des Intrigierens und Verschleierns war Alexander dem Rest der Welt immer noch haushoch überlegen. Wäre er nicht mit dieser Achillesferse in Gestalt seiner missratenen Kinder geschlagen, hätte er zweifellos einer der größten Staatsmänner aller Zeiten werden können.
Immerhin konnte Lorenzo von Glück sagen, dass er in Alexanders künftigen Plänen noch eine Rolle spielte und dass der Papst Wert auf venezianische Neutralität legte. Anderenfalls würde er jetzt nicht im weichen Bett einer Hure liegen, sondern kopfunter im Tiber schwimmen.
»Ich könnte noch ein Stündchen zu Euch ins Bett schlüpfen und versuchen, Eure Lebensgeister zu wecken«, schlug das Mädchen in fröhlichem Ton vor. »Ich heiße übrigens Marietta.«
»Danke für das Angebot, aber ich werde doch lieber versuchen, aufzustehen. Meine Frau wird sich bestimmt schon Sorgen um mich machen.«
»Ach, sicher hat Euer Leibwächter ihr inzwischen Bescheid gegeben, dass Ihr wohlauf seid.«
»Welcher Leibwächter?«
»Na, dieser gewaltige Kerl aus Siena. Er hat mich aus dem Bett geworfen. Eines der Mädchen hatte ihm erzählt, dass Ihr hier seid. Er kam her, aber da habt Ihr noch zu fest geschlafen. Er sagte, dass er wiederkommt.« Sie schürzte verärgert die Lippen. »Er hat mir verboten, bei Euch im Bett zu liegen, aber ich meine, dass das eine Sache ist, die Ihr selbst bestimmen dürft.«
Lorenzo rollte sich auf die Seite und stemmte sich auf einem Ellbogen hoch, mit dem Ergebnis, dass der unsichtbare Hammer von außen gegen die Glocke schlug und seinen Kopf in einen einzigen dröhnenden Klangkörper verwandelte.
»Gott, was war das nur für Zeug«, stöhnte er.
»Vielleicht habt Ihr Wein und Schnaps durcheinander getrunken, das hat manchmal diese Wirkung.«
Draußen wurden Stimmen laut. Mindestens zwei davon erkannte Lorenzo auf Anhieb.
Eine konnte auch Marietta richtig einordnen. »Ich glaube, jetzt ist Euer Leibwächter wieder da.« Der Stuhl knarrte unter ihrem ausladenden Gesäß, als sie aufstand und zum Fenster ging. »Ah, und eine schöne Frau. Oje, die schaut aber böse drein … Jetzt ist sie ins Haus gegangen. Ich höre ihre Schritte auf der Treppe …«
Gleich darauf flog die Zimmertür auf, und durch einen Augenspalt erkannte Lorenzo seine Frau, die wie ein
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