Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
steckte er in einer zu engen Glocke.
»Bleibt liegen, dann wird es sicher bald besser«, sagte die weibliche Stimme, die er seit seinem Aufwachen schon mehrmals gehört hatte.
»Wo bin ich?«, fragte er zum wiederholten Mal.
»In Sicherheit«, antwortete die Stimme, ebenfalls eine Wiederholung, und zwar eine, mit der er auch nach dem dritten Mal immer noch nichts anfangen konnte.
Es dauerte etliche mühsame Atemzüge, bis er es erneut wagte, sich hochzustemmen, doch ebenso wie der letzte Versuch war auch dieser zum Scheitern verurteilt. Er schaffte es einfach nicht.
Angestrengt durchsuchte er sein Gedächtnis nach Erinnerungen an die letzte Nacht, doch alles, was ihm noch deutlich vor Augen stand, war der Gesichtsausdruck von Ascanio. »Ihr müsst mir helfen, mein Junge. Ich weiß, wie viel er auf Euer Urteil und Euren Rat gibt. Er ist davon überzeugt, dass ich es war. In seinem schrecklichen Schmerz wird er vielleicht nicht warten wollen, bis sich ein anderer Täter findet.« Schweigen, dann: »Wisst Ihr, er hat mir diesen Palast hier geschenkt. So wie ich ihm meine Stimme im Konklave geschenkt habe. Es gab Zeiten, da dachte ich, er wäre mein Freund. Doch das ist lange vorbei, es kommt mir wie ein ferner Traum vor.« Abermals Schweigen. »Er hat für morgen ein Konsistorium anberaumt, aber ich wage nicht hinzugehen. Nicht in diesen Hades der Rachsucht und der Vendetta . Ihr müsst ihm beibringen, dass meine Abwesenheit keineswegs ein Schuldeingeständnis bedeutet. Ich stehe weiter als Vizekanzler zur Verfügung, ich gehe nur nicht zu diesem Konsistorium. Versteht Ihr?«
Ascanio verschwand im Nebel, und Lorenzo war wieder unterwegs, in den Straßen der Stadt, umgeben von Aufruhr und dem Geschrei des Pöbels. Dann tauchte die Frau vor ihm auf, bezaubernd anzusehen mit ihrem schimmernd roten Mund und den klaren Augen. Sie trug ein weißes, in der Taille hochgegürtetes Gewand und hatte Blumen in das rote Haar geflochten. Auf ihrer Schulter saß ein schnatterndes Äffchen, und sie wurde von ihrem Diener begleitet, einem bunt gekleideten Mohren mit rollenden Augen und einem ansteckenden Lachen.
»Wollt Ihr mit mir kommen, schöner Fremder?«
»Tut mir leid, aber ich bin auf dem Heimweg zu meiner Frau.«
Sie schmollte. »Das sagen alle, aber in Wahrheit haben sie schon andere Verabredungen.«
Er lächelte sie an und wollte an ihr vorbei, doch ihre fein manikürte Hand streifte seinen Arm. »Trinkt wenigstens einen kleinen Schluck Wein mit mir und zeigt mir auf diese Weise, dass Ihr mich nicht langweilig findet!« Sie warf einen bezeichnenden Blick hinter sich, auf das Haus, in dessen Fenstern die anderen Frauen standen und auf ihn herabschauten. Im Eingang drängten sich weitere von ihnen, die lachend herübersahen, Spanierinnen mit Mantillen und Fächern, blonde Frauen aus dem Norden, verschleierte Türkinnen und zierliche kleine Asiatinnen in heller Seide.
Der Mohr trat auf ihn zu und goss ihm aus einem Krug ein kleines Glas voll, wie bei einer Ombretta auf dem Markusplatz, und er nahm es dankend und trank es rasch aus, weil er kein Spielverderber sein wollte. Die Frau gab ihm einen Kuss auf die Wange und verabschiedete ihn mit einem lieblichen Lächeln.
Als er bereits einige Straßen weiter war, meinte er immer noch, das Schnattern des Äffchens zu hören, doch als er sich umschaute, war niemand zu sehen. Beim nächsten Schritt merkte er, dass er nicht mehr gehen konnte. Sein rechtes Bein knickte unter ihm weg, und verständnislos betrachtete er seinen Fuß, der plötzlich verschwand. Dafür befand sich das Pflaster auf Höhe seiner Augen, und die Ziegel unter ihm scheuerten seine Wange auf.
Der Wein, dachte er. Hatte er nicht bitter geschmeckt? Er konnte sich nicht erinnern.
»Ihr solltet nicht ständig versuchen, Euch hinzusetzen. Natürlich habt Ihr jetzt einen Brummschädel, aber in ein paar Stunden seid Ihr wieder völlig in Ordnung.«
»Woher wollt Ihr das wissen?«
»Nun«, sagte die weibliche Stimme, »ich bin keine Prophetin, aber die Art, wie Ihr herumstrampelt, lässt nicht auf ein nahes Dahinscheiden schließen. Außerdem hat die Rote es mir gesagt.«
»Welche Rote?«
»Die Rothaarige, die Euch zusammen mit ihrem Mohren hier anschleppte.«
»Sie hat mich vergiftet!«
»Wenn sie Euch vergiftet hätte, wärt Ihr jetzt tot«, sagte die Frau mit bestechender Logik.
Endlich schaffte er es, die verklebten Augen aufzureißen, eine Bemühung, die sofort mit neuen Schmerzen bestraft wurde. Von
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