Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
Sonne ihre letzten Strahlen über die Dächer, und die von gedrechseltem Marmor umrahmten Butzenfenster des Portego leuchteten wie lohfarbene Spiegel.
    Sanchia entlohnte den Bootsmann, ließ sich von ihm auf die Stufen neben dem Wassertor helfen und eilte sofort seitlich am Haus vorbei zum Landeingang. Drinnen war es still. Köchin, Hausknecht und Putzmagd waren bereits gegangen. Auch Aurelia, die als Einzige von den Dienstboten bei ihnen lebte, hatte sich anscheinend bereits in ihre Kammer zurückgezogen.
    Sanchia ging in die Küche, von Heißhunger geplagt. Sie hatte seit dem Mittag nichts zu sich genommen und lechzte nach den kleinen Mandelkuchen, von denen Aurelia ihr hoffentlich genug übrig gelassen hatte. Die Französin liebte nicht nur hübsche Kleider, sondern auch süßes Gebäck, und so konnte Sanchia ihr Glück kaum fassen, als sie auf der Anrichte unter dem Tellerbord noch ein paar Stücke stehen sah. Sie nahm eines davon – und hielt angeekelt inne. Auf dem Fußboden hatte sie eine Lache Erbrochenes entdeckt.
    Sie legte den Kuchen weg und ging ins Treppenhaus. »Aurelia?«, rief sie.
    Die Antwort blieb aus, und Sanchia nahm immer zwei Stufen auf einmal, als sie die Treppe hinauflief, zum zweiten Obergeschoss, wo Aurelia ihre Kammer hatte.
    Die Zofe war nicht in ihrem Zimmer. Mit wachsender Besorgnis durchsuchte Sanchia alle Räume, doch Aurelia war nirgends zu finden. Schließlich ging sie zurück in die Küche, um von dort aus eine neue Suche zu beginnen. Auf den Steinstufen, die vom Andron hinab zum Wasser führten, fand sie weiteres Erbrochenes.
    Aurelia trieb dicht neben der Gondel mit dem Gesicht nach unten im Wasser, umgeben von der schwebenden Masse ihres Kleides, das sich wie eine schlaffe, gelbe Riesenblüte um sie herum ausgebreitet hatte.
    Maddalena schob die Kuchenkrümel zur Seite, fasste die tote Maus beim Schwanz und ließ sie vor ihrem Gesicht baumeln. Aufmerksam betrachtete sie das Versuchsobjekt von allen Seiten.
    »In der Tat«, murmelte sie. »Ein hochwirksames Gift.«
    »Glaubst du, es ist Arsenikon?«
    Maddalena schüttelte den Kopf. »Eher Secale cornutum .«
    »Mutterkorn?« Sanchia betrachtete schaudernd die Maus, die gerade eben erst nach heftigen Darmkrämpfen und Zuckungen verendet war. Nachdem ein paar Bissen von dem Kuchen ausgereicht hatten, das arme Tier umzubringen, bestand kein Zweifel daran, in welcher Konzentration das Gift dem Kuchen beigemischt war, sonst hätte Aurelia nicht so schnell daran sterben können. Das verwendete Mehl musste fast ausschließlich aus befallenen Körnern bestehen. Sanchia hatte erst vor kurzem das Traktat eines deutschen Antonitermönchs gelesen, der einen Zusammenhang zwischen schlechtem Getreide und Ignis sacer angenommen hatte, der entsetzlichen, seuchenartigen Krankheit, die mit brandartig abfaulenden Gliedern, Erbrechen, Aussatz, Verblödung und schwersten Krämpfen einherging und meist dem bösartigen Wirken von Hexen zugeschrieben wurde. Niemand störte sich an den Mutmaßungen eines einzelnen Mönchs, erst recht nicht einfache Leute, die ihr tägliches Brot brauchten, um zu überleben.
    Sanchia wusste, dass Engelmacherinnen das giftige Korn ihren Abtreibungsmitteln beifügten, da die Krämpfe, die es hervorrief, vor allem wehenauslösend waren. Sie überlegte kurz, ob Caterina vielleicht nur vorgehabt hatte, eine Fehlgeburt bei ihr herbeizuführen, doch von diesem Gedanken kam sie sofort wieder ab. Die Dosis hätte vermutlich ausgereicht, um einen ausgewachsenen Ochsen zu töten. Dass Caterina es in einem Mandelkuchen verbacken hatte, zeugte nur von ihrer weitreichenden Umsicht – sie hatte dabei berücksichtigt, dass Francesco garantiert nichts davon essen würde.
    Die herbeigerufenen Signori di Notte hatten das Ganze als Unglücksfall eingestuft. Plötzliche Übelkeit, ein Sturz auf der Treppe – eine bedauernswerte, unvorsichtige Dienerin. Sanchia hatte nichts gesagt, um diese Einschätzung zu widerlegen.
    Maddalena riss sie aus ihren trübseligen Gedanken. »Wer, sagtest du, hat dir diesen Kuchen geschickt?«
    »Ich sagte es überhaupt nicht.«
    »Aber du weißt es?«
    Sanchia zuckte nur die Achseln.
    »Also willst du es mir nicht erzählen.«
    »Du würdest es nur bei der nächsten Beichte weitersagen«, versetzte Sanchia leicht gereizt. »Und kein Mensch weiß, wer es auf diesem Wege dann noch alles erfährt!«
    »Aber das unterliegt doch dem Beichtgeheimnis! Pater Alvise ist über jeden Zweifel erhaben!«
    »Er ist alt,

Weitere Kostenlose Bücher