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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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aufgewachsen war und die sie mit aller Macht geliebt hatte. Kein anderer Mann würde sich je anmaßen dürfen, ihr Vater zu sein. Sie hatte einen Vater, und der war Piero Foscari, der Glasmacher.
    Weinend verließ sie den Friedhof und ging über den Sandstreifen jenseits der Friedhofsmauer hinüber zum Rio Vetrai. Als sie die Werkstatt erreichte, wischte sie sich entschieden die Augen trocken und atmete so lange tief durch, bis sie meinte, die Lage wieder im Griff zu haben.
    Doch als sie das Tor zur Halle aufstieß und als Erstes den Toten sah, war es um ihre Fassung sofort wieder geschehen.
    Vittore war mitten zwischen den Öfen aufgebahrt, auf zwei Brettern, die auf Holzböcken ruhten und behelfsmäßig mit Laken drapiert waren. Ein weiteres Laken war über seinen Körper gezogen, bis zu seiner Brust. Sein Haar war sauber gekämmt, und das Hemd, das er trug, war frisch und neu. Irgendwer hatte ihn sogar rasiert. Sein Gesicht wirkte friedlich und entspannt, wie nach einem schönen, erholsamen Tag.
    Als Sanchia näher trat, sah sie die Küchenmagd auf einem Schemel neben der Bahre sitzen. Durch einen Schleier von Tränen blinzelnd, schaute sie zu Sanchia hoch. »Sie kommen ihn gleich holen. Ich habe ihn schon zurechtgemacht.«
    »Wann …«, stammelte Sanchia.
    »Vor zwei Stunden. Er ist in Frieden eingeschlafen. Bevor er ging, hat er noch nach dir gefragt, Kindchen. Er hat ja so an dir gehangen!« Sie schluchzte laut auf.
    Sanchia tat ein paar Schritte rückwärts und stolperte über eine leere Flasche, die von ihrem Fuß wegkollerte und zwischen zwei Fässer rollte.
    Sanchia drehte sich um und floh zum Tor, ohne zu wissen, was sie als Nächstes tun sollte.
    »Pasquale ist in der kleinen Werkstatt«, rief die Magd ihr nach.
    Er hing volltrunken auf dem Stuhl hinter seinem Arbeitstisch, eine weitere leere Flasche vor sich, und sein Blick war so trüb, als müsste er vom Grunde der Lagune zu ihr aufschauen.
    »Ge …rade rechzeisch«, lallte er.
    Sanchia brauchte ein paar Augenblicke, bis sie sich zusammengereimt hatte, was er meinte. Anscheinend war er der Ansicht, dass sie pünktlich zum Trauerzug eingetroffen war, der den Verstorbenen zur Kirche begleiten würde.
    In der Folge bekam sie kaum einen verständlichen Satz aus ihm heraus. Er hatte sich nicht nur aus Trauer um seinen langjährigen Gesellen volllaufen lassen, sondern auch wegen des Besuchs, der am Vormittag hier gewesen war.
    »Has nichesagd, dassiekommt«, nuschelte er vorwurfsvoll.
    »Ich hätte es dir gesagt, wenn ich es gewusst hätte. Sie hat letzte Woche davon gesprochen, dass sie vielleicht zu dir fährt. Vielleicht , hörst du? Was erwartest du von mir, hätte ich dir falsche Hoffnungen machen sollen?« Sie nahm sich lange genug zusammen, um eine Spur Mitgefühl aufzubringen, obwohl sie selbst weit mehr davon hätte gebrauchen können als er, zumindest war das im Moment ihre Meinung. »Wie war es denn? War sie … nett zu dir?«
    »Hatte mein Jungn mit«, nuschelte er selig grinsend. »Sssön.«
    Also war alles gut verlaufen. Grund genug, dass er sich jetzt am Riemen riss und ihr einige Dinge verriet, die er bisher für sich behalten hatte, aus welchen vermaledeiten Gründen auch immer.
    »Hör zu«, sagte sie drängend. »Heute ist etwas Schreckliches passiert! Ich hatte Besuch, und du wirst nie erraten, wer bei mir war!«
    Tatsächlich schien er sie beim Wort zu nehmen. Er machte nicht einmal den Versuch, zu raten, sondern stierte nur in die Flasche, als würde sich die kümmerliche Neige allein vom scharfen Hinsehen vielleicht auf wundersame Weise in einen ordentlichen zusätzlichen Schluck verwandeln.
    »Francesco Caloprini!«, sagte sie.
    Damit riss sie ihn nachhaltig aus seiner Versunkenheit. Er schüttelte heftig den Kopf, bis es aussah, als wolle er ein unsichtbares Netz wegschleudern. »Was wollte er?«, krächzte er.
    »Er hat mir die Wahrheit gesagt.« Sanchia blickte Pasquale anklagend an. »Im Gegensatz zu dir!«
    Er riss seine Augenklappe herunter, stemmte sich von dem Stuhl hoch und torkelte zu dem Wasserfass, das in der Ecke des Raums stand.
    Sanchia sah sprachlos zu, wie er sich vorbeugte und seinen Kopf hineintauchte. Und unten blieb. Sie zählte bis zehn und setzte sich hastig in Bewegung, um ihn vor dem Ertrinken zu retten, als er wieder zum Vorschein kam und sich schüttelte wie ein junger Hund nach einem unfreiwilligen Bad. Wasser spritzte nach allen Seiten, und Sanchia wich mit einer gemurmelten Verwünschung

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