Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
ließ ahnen, wie es in ihm rumorte.
»Wir haben nie drüber geredet«, fuhr Pasquale zögernd fort. »Aber der Mann, der damals … Ihr wisst schon. Es war nicht einfach nur irgendein Betrunkener. Es war ein Edelmann. Teuer gekleidet, mit einem wertvollen Schwert. Er war völlig nüchtern, und er hat das Mädchen mit der Absicht von der Piazza weggeschleppt, um …« Mit einem kurzen Blick auf Sanchia verstummte er, doch das Kind schlief fest.
Piero hielt einen Moment mit Rudern inne und lockerte seine Schultern. »Das Mädchen … Die andere Sanchia – du hast sie gemocht, oder?«
Pasquale nickte mit gesenkten Augen. »Ich kannte sie nicht. Aber sie war so … Nie zuvor habe ich eine Frau gesehen, die so schön war wie sie.«
Wieder schwiegen sie. Piero dachte an die Nacht vor mehr als sieben Jahren, und jeder einzelne Augenblick war mit einem Mal wieder gegenwärtig, gerade so, als wäre die Zeit seither nicht verstrichen.
Sie hatten Castello durchquert und fuhren in die Lagune hinaus. Als er das Segel hisste, kreuzte ein Traghetto mit Trauerbeflaggung ihren Weg, der Sarg darauf wie ein dunkles, lang gezogenes Mahnmal. Weitere Boote mit Trauernden folgten, begleitet von kreischenden Möwenschwärmen. Schluchzen und rituelle Klagegesänge stiegen auf und wurden vom Wind über das Wasser getragen. Es waren Juden, die diesen Toten zur letzten Ruhe begleiteten. Die gelben Ringe an ihrer Kleidung leuchteten in der Abendsonne. Langsam entfernte sich der Trauerkonvoi auf seinem Weg zum Lido, wo sich der jüdische Friedhof befand.
»Sie war den Caloprinis bekannt. Zumindest einigen von ihnen. Und verhasst. Vielleicht so sehr, dass es über den Tod hinausreicht. So sehr, dass der Hass auch dem Kind gilt.« Pasquale stellte diese Überlegungen mit leiser Stimme an, die gegen den aufkommenden Wind kaum zu hören war. Doch Piero hatte dieselben Schlussfolgerungen im Stillen schon vorher gezogen. Jemand aus der Familie Caloprini war für den Tod des Mädchens verantwortlich, hatte sie vielleicht sogar eigenhändig ermordet.
Und jetzt wusste der Betreffende, wo ihre Tochter lebte. Seine Tochter, verbesserte er sich sogleich in Gedanken. Sanchia war sein Kind, ungeachtet der Frage, wer ihr Erzeuger gewesen sein mochte. Sie gehörte zu ihm und Bianca. Er würde sie mit seinem Leben beschützen. Doch er fragte sich voller Unruhe, ob das reichen würde.
Die restliche Fahrt über schwiegen sie. Erst als nach der letzten Biegung des Kanals bereits sein Haus in Sicht kam, sagte Piero leise: »Wenn … Ich meine, sollte es einmal …« Er stockte und suchte nach Worten, nur um schließlich zusammenhanglos hervorzustoßen: »Du würdest dich um sie kümmern, oder?«
Pasquale begriff sofort, worauf er hinauswollte. Pathetische Worte lagen ihm nicht, doch sein Nicken kam sofort und mit Nachdruck.
Dennoch legte sich Pieros Unruhe nicht, sondern wurde in den folgenden Tagen eher schlimmer. Der Alltag gestaltete sich wie immer, rein äußerlich setzten sie ihr Leben unverändert fort, bis auf kleinere Zwischenfälle, die indessen nicht gravierender waren als andere Unannehmlichkeiten, zu denen es in einem großen Haushalt wie dem seinen zwangsläufig hin und wieder kam.
In der kleineren Werkstatt brach ein Brand aus, als sich eines der Pulver unter der Sonneneinstrahlung selbsttätig entzündete, doch Piero war in der Nähe und konnte die Flammen rasch mit einer Ladung Sand löschen.
Tags darauf verletzte Nicolò sich am Daumen, ein tiefer Schnitt, den er sich bei dem Versuch beibrachte, eine fertige Scheibe ohne Hilfe von der Werkbank zu heben. Zurück blieben ein Haufen Scherben und eine Pfütze Blut. Piero nähte die Wunde und schickte den Lehrjungen anschließend für eine Woche heim zu seiner Mutter.
Vittore trank mehr denn je und verdarb einen guten Spiegel, weil er die erhitzte Metallmischung fallen ließ. Er kurierte die dabei entstandenen Verbrennungen an seinen Beinen mit dem Verzehr von noch mehr Zwiebeln, bis seine prompt folgenden Verdauungsstörungen das Geruchsempfinden seiner unglücklichen Kollegen aufs Ärgste strapazierten.
Bei Bianca setzten nachts immer wieder leichtere Wehen ein, die jedoch bis zu den Morgenstunden vergingen. Die Hebamme untersuchte sie und erklärte, es sei alles in bester Ordnung. Piero gestattete es sich nicht, diese Aussage anzuzweifeln. Er hatte genug andere Sorgen.
Die harmlosen Vorfälle schienen nur Sendboten künftigen, weit schlimmeren Unheils zu sein. Böse Ahnungen
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