Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
betend seinen Segen über die armen Seelen und wies einige fromme Mitbürger aus der Nachbarschaft an, die geschundenen Körper herzurichten und sie in Anbetracht der besonderen Umstände nicht erst in der folgenden Nacht, sondern sogleich in die Kirche der Contrade zu bringen, wo man die Toten aufbahren und im Kreise der Hausgemeinschaft bei ihnen bis zum Morgen Wache halten würde. Es traf sich dabei gut, dass der bald anbrechende Tag ein Sonntag war und niemand dringend zur Arbeit musste.
Eilig formierte sich ein Fackelzug, der in stummer Prozession den Bahrenträgern in die Dunkelheit folgte. Die Leiche des Mörders wurde ebenfalls weggeschafft, wenn auch mit wesentlich weniger Aufwand und gänzlich ohne Pietät.
»Wollt Ihr nicht mit zur Totenwache?« Der Ordnungshüter, der als Letzter die Werkstatt verließ, war bei der Tür stehen geblieben und betrachtete Pasquale, der stumm inmitten der Zerstörung auf dem Boden hockte.
Der Polizist musste die Frage erneut stellen, denn Pasquales Ohren klingelten immer noch von dem gewaltigen Donnerschlag.
»Ich kann nicht laufen. Mein Fuß ist verletzt.«
»Warum habt Ihr nichts gesagt? Soll ich einen Arzt rufen?«
Pasquale schüttelte den Kopf. »Ich muss mich nur ein wenig erholen. Zum Begräbnis wird es wieder gehen.«
Die eigentliche Trauerfeier würde frühestens in zwei Tagen stattfinden, denn Piero Foscari würde als Mitglied einer Scuola natürlich mit dem gebührenden Pomp zu Grabe getragen werden, in einer Zeremonie, bei der keiner der wichtigen Würdenträger aus seiner Zunft fehlen durfte.
»Was glaubt Ihr, warum Foscari ermordet wurde?«
»Er war ein besonderer Künstler«, sagte Pasquale. Bis hierher war es die Wahrheit. »Hohe Kunst erregt oft Neid. Besonders dann, wenn es um die Herstellung von Glas geht.« Auch das stimmte noch. »Jemand wollte ihm seine Geheimnisse entreißen.« Ebenfalls wahr. »Und deshalb mussten er und seine Frau sterben. Danach haben die Mörder dann versucht, seine geheimen Ingredienzien mitzunehmen und dabei versehentlich die Explosion ausgelöst.« Das war gelogen, aber wen scherte das schon.
Der Beamte nickte mitfühlend und wünschte ihm eine gute Nacht. Pasquale stemmte sich vom Boden hoch und schickte sich erschöpft an, die überall herumliegenden Trümmer wegräumen. Er tat es mechanisch, ohne über das Ausmaß der Zerstörung nachzudenken. Sein ganzer Körper war steif und schmerzte, am meisten aber sein Fuß, der von einer der herumfliegenden Scherben getroffen worden war. Mehr als ein paar Schritte konnte er nicht gehen, sonst fing es wieder an zu bluten. Er hatte eine behelfsmäßige Kompresse angelegt, doch die Wunde an seiner Ferse war zu tief, um den Fuß belasten zu können.
Als er die quer im Raum liegende Tür aus dem Weg schieben wollte, begriff er, dass es über seine Kräfte ging. Nach der Seelenmesse würden die anderen zurückkommen und ihm helfen. Bis dahin sollte er das tun, was er zu dem Ordnungshüter gesagt hatte: sich ausruhen. Und dabei möglichst nicht zu viel nachdenken, damit ihn nicht das Elend übermannte.
Doch wann hätten sich Gedanken je unterdrücken lassen? Pasquale ließ sich wieder auf den Boden zurücksinken, rieb sich die schmerzenden Ohren und grübelte.
Höchstwahrscheinlich würden in den folgenden Tagen auch noch Beamte des Zehnerrats den Mord untersuchen, vielleicht könnte er ihnen den Fall in Gänze unterbreiten.
Voraussetzung dafür war allerdings, dass jemand von der Obrigkeit willens wäre, eine über jeden Zweifel erhabene Familie wie die Caloprini mit einem Verbrechen in Verbindung zu bringen.
Allein das war so wahrscheinlich wie Sonnenschein bei Nacht, zumal es keinerlei Beweise gab. Zudem pflegte die Signoria in solchen Zweifelsfällen den Denunzianten einzusperren und sein Geld zu konfiszieren, bis die Schuld des Angeklagten bewiesen war. So lautete die Vorschrift. Blieb natürlich noch die heimliche Denunziation, die, wen nahm es wunder, wie alles im Leben der Venezianer ebenfalls gesetzlich geregelt war. Doch die Schmierzettel in der Bocca di Leone nahm niemand wirklich ernst, es sei denn, der Angeschwärzte hatte schon andere Übeltaten auf dem Kerbholz.
Er drehte den Kopf, weil er etwas gehört hatte. War schon jemand aus der Kirche zurück? Nein, unmöglich, sie waren ja gerade erst alle gegangen.
Dann war das Geräusch wieder zu hören. Ein leises, rhythmisch wiederkehrendes Schaben.
Pasquale hielt die Luft an, um es besser lokalisieren zu können. Er
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