Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
seinen Hals und sah die erwartete Schwellung. In zehn Jahren, falls er so lange lebte, würde sein Kropf die Kutte sprengen, und er würde einem Fisch auf zwei Beinen ähneln, ein Schicksal, das er sich ersparen könnte, wenn er von eben diesem Getier häufiger essen würde.
»Seine Eminenz hat verfügt, dass Bruder Ambrosio das Klosterwesen von San Lorenzo inspiziert und Seiner Eminenz Bericht erstattet«, sagte Tullio gewichtig.
Albiera lächelte interessiert, obwohl es in ihr gärte. Es war stets dasselbe. Neid, krankhafte Neugierde und der nicht auszurottende Drang, das weibliche Geschlecht beherrschen zu müssen, ließen die Kirchenoberen immer wieder auf Mittel sinnen, wie sie ihre Macht über die Frauenklöster verstärken konnten. Nun schickten sie ihr also einen Spion.
Tullio betrachtete sie lauernd, während der Dominikaner seine ausdruckslose Miene beibehielt.
»Ich hoffe, Ihr seid wohlauf«, meinte sie höflich zu Tullio, nur um nichts Unbedachtes von sich zu geben.
»O nein, das bin ich nicht! Ganz und gar nicht!« Sein Gesicht, das ohnehin schon wie eine verschrumpelte Backpflaume aussah, wurde noch faltiger und galliger.
Albiera erwartete eine seiner endlosen Tiraden über seine vielfältigen gesundheitlichen Beschwerden, merkte jedoch, dass er echte Anzeichen von Verzweiflung zeigte. »Der Bannstrahl des Papstes hat uns getroffen!«
Albiera zog die Brauen hoch. »Was Ihr nicht sagt.«
Tullio nickte bedrückt. »Seine Eminenz hat sich krank gestellt, um die Bulle nicht entgegennehmen zu müssen. Aber es misslang. Der Bote Seiner Heiligkeit hat ihn dann doch gefunden, und jetzt ist das Interdikt in Kraft!«
Albiera unterdrückte ein Grinsen. Die Vorstellung, dass der Patriarch eine Unpässlichkeit vorgeschützt hatte, um sich vor dem Nuntius zu verstecken, entbehrte nicht einer gewissen Komik. Doch Tullio schien es alles andere als lustig zu finden. »Die ganze Serenissima ist damit praktisch exkommuniziert!«, klagte er. »Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind!«
Albiera war nicht allzu betroffen. Es hatte schon andere Interdikte gegeben, und alle waren sie bisher wieder aufgehoben worden. »Was war diesmal der Grund?«
»Die Missachtung eines sehr vernünftigen Befehls«, sagte Tullio griesgrämig. »Seine Heiligkeit hat Venedig verboten, Steuern vom Klerus einzutreiben.«
»Das kann ich mir vorstellen, dass Ihr das vernünftig findet«, entfuhr es Albiera.
Tullios indignierten Blick missachtend, fuhr sie fort: »Und was geschieht jetzt?«
»Wenn wir das nur wüssten!«
Bruder Ambrosio räusperte sich und sprach zum ersten Mal. Seine Stimme war überraschend dünn und hoch, fast wie bei einem Kastraten. »Monsignore Tullio und ich haben gestern den Vorsitzenden des Zehnerrats über die Bulle unterrichtet. Man gab uns die Anweisung, den Bann nicht zu beachten.«
»Das wiederum finde ich vernünftig«, sagte Albiera. Sie zweifelte nicht daran, dass der Patriarch richtig daran tat, sich dem Rat der Zehn zu fügen. Die Kirche von Venedig hatte mehr davon, sich mit der Verwaltung der Seerepublik zu arrangieren als mit der Kurie in Rom. Mochten auch im Vatikan die Wellen hochschlagen – in der Serenissima würden weiterhin Messen gelesen, Kinder getauft und Sterbesakramente gespendet werden. Und Venedig würde auch künftig die reichen Pfründen der Kleriker besteuern, so wie bei allen anderen vermögenden Bürgern auch.
Albiera murmelte eine kurze Entschuldigung und trat auf die Loggia hinaus. Nicht, weil sie Tullios fauligen Atem nicht mehr ertragen konnte, sondern weil aus dem Hof ungewohnter Lärm ertönte.
Die Mädchen, die im Garten gearbeitet oder sich einfach zu ihrer Erbauung dort aufgehalten hatten, waren zusammengelaufen und schnatterten aufgeregt durcheinander. Eine Neue war angekommen, Eleonora Toderini. Ein bedauernswertes Geschöpf. Albiera hatte letzte Woche mit ihrem Großvater gesprochen, einem steinalten, schwerreichen Krüppel, den außer seiner Gicht nichts mehr im Leben interessierte. Seine Tochter – Eleonoras Mutter – war vor drei Monaten im Kindbett gestorben. Ihr Mann hatte sich kurz darauf das Leben genommen. Es gab zwei oder drei Onkel, aber keiner lebte in Verhältnissen, die es gestattet hätten, ein zehnjähriges Mädchen aufzunehmen. Also hatte man sie nach San Lorenzo gebracht. Umringt von Nonnen aller Altersstufen stand sie nun im Hof. Eine Dienerin hatte sie herbegleitet und beaufsichtigte die Träger, die Eleonoras Truhen durch die Pforte
Weitere Kostenlose Bücher