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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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schlitternd dicht neben Sanchia zum Stehen. Er trat hastig vor die Äbtissin und verneigte sich. »Ehrwürdige Mutter, es ist so weit!«
    Er war noch sehr jung, kaum älter als Pasquale. Der Bart auf seinen Wangen war eher flaumig als borstig, und seine Ohren standen wie zwei rosa Segel vom Kopf ab. Seine Kleidung war einfach und abgetragen, aber sauber.
    Es war nicht zu übersehen, dass er vollkommen außer sich war. »Sie schreit ganz fürchterlich!«
    Albiera zog die rötlichen Brauen hoch. »Seit wann?«
    »Seit … hm, ich glaube, seit einer halben Stunde. Es könnte auch weniger sein.«
    »Wie oft hat sie insgesamt geschrien?«
    Er zählte es stumm an seinen Fingern ab und zappelte dabei nervös hin und her.
    »Dreimal?« Er blickte die Äbtissin unsicher an.
    »Du musst es doch wissen, nicht ich«, sagte sie mit sanftem Tadel.
    »Sie schreit ganz fürchterlich!«, rief er aus, als wäre das für sich allein betrachtet schon mehr als ausreichend.
    Sanchia fragte erstaunt, worum es wohl gehen mochte. Wie konnte die Äbtissin so gelassen hier stehen bleiben, wenn eine Frau in Not war und Schmerzen litt?
    »Ist schon Wasser abgegangen?«, wollte Albiera wissen.
    »Wasser?«, fragte er entsetzt. »Welches Wasser?«
    Albiera seufzte. »Ich gehe mit. Aber mach dich darauf gefasst, dass ich nicht dort bleibe, sondern erst am Abend wiederkomme. Es ist euer Erstes, das kann noch viele Stunden dauern.«
    Sie folgten dem jungen Mann zu einem Haus in der Nähe des Spitals. Es lag direkt an einem stinkenden kleinen Kanal und war vier Stockwerke hoch, die vom Erdgeschoss bis zum Dach in winzige Wohneinheiten unterteilt waren. Ein buntes Allerlei an Gerüchen und Geräuschen erfüllte sämtliche Etagen; vor allem die Gerüche standen in der Luft und waren zum Schneiden dick. Doch auch der Radau war lauter als alles andere, was sie bisher in Häusern gehört hatte. Kreischende Kinder, das Greinen einer alten Frau, das Gebrüll eines wütenden Mannes – Sanchia wusste nicht, was schlimmer war, der Gestank oder der Krach.
    Das Zimmer im obersten Stockwerk, in welches der junge Mann sie brachte, war klein und dunkel und trotz des eher spärlich vorhandenen Mobiliars so vollgestopft, dass man sich kaum bewegen konnte. Es gab zwei aufeinandergestapelte Truhen, einen roh gezimmerten Esstisch mit zwei Schemeln und ein umlaufendes Wandbord, auf dem ärmliche Habseligkeiten aufgereiht waren: ein paar Holzteller und -becher, eine gesprungene Schüssel und ein stümperhaft gemaltes Madonnenbild mit einem fratzenhaft grinsenden kleinen Jesus.
    Das Bett war das ausladendste Möbelstück, es nahm den meisten Platz des kleinen Raums für sich in Anspruch, und darauf lag ein bleiches Mädchen mit aufgelösten Haaren und einem prall gewölbten Bauch unter ihrem zerknitterten Nachtgewand.
    Albiera rieb sich die Hände mit Essig ab, von dem sie eine Flasche mitgebracht hatte. Als sie sich anschließend anschickte, die Schwangere zu untersuchen, flitzte der junge Ehemann pfeilschnell aus dem Zimmer hinaus ins Treppenhaus.
    Die junge Frau bekam die nächste Wehe, sie bohrte den Hinterkopf in die Kissen, krallte die Hände in die Laken und schrie, was das Zeug hielt.
    »Es tut so weh!«, jammerte sie mit tränenüberströmtem Gesicht, als etwa eine Minute später das Schlimmste vorbei war.
    »Daher auch der Name Wehen «, sagte Albiera gelassen. Sie schlug das Nachthemd der jungen Frau zurück und winkte Sanchia, näherzukommen.
    »Wer ist das?«, fragte die Schwangere mit leisem Misstrauen.
    »Meine Gehilfin.«
    »Sie ist noch ein Kind!«
    »Wer eine gute Hebamme und Heilerin werden möchte, kann nicht früh genug anfangen, diesen Beruf zu erlernen.«
    Sanchia schluckte und widerstand dem Drang, schamvoll die Augen zu schließen, als die Äbtissin den Unterleib der jungen Frau entblößte und unter dem straff gespannten, kugeligen Leib die mit dunklen Haaren bewachsene Gegend sichtbar wurde, von der manche Nonnen im Kloster behaupteten, sie sei unrein und müsse ignoriert werden. Manche sagten sogar, man dürfe sich auf keinen Fall dort selbst mit bloßen Händen berühren. Wenn sie sich dort wuschen, beteten sie laut, um nicht der Sünde anheimzufallen.
    Albiera sah ihren Gesichtsausdruck und schüttelte leicht den Kopf. »Was immer man dir darüber im Kloster oder sonst wo erzählt hat – vergiss es. Alles, was du heute und auch an anderen Tagen an Frauen sehen wirst, seien sie gesund oder krank, jung oder alt, schwanger oder gerade

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